Vor 70 Jahren in den Bundestag gewählt

„Franke ohne Furcht und Tadel“: So war der ehemalige Bundesminister Werner Dollinger

2.9.2023, 05:55 Uhr
Werner Dollinger im Kreis vieler Weggefährten wie Landtagsabgeordneter Karl Hillermeier und Bundestagsabgeordneter Carl-Dieter Spranger (von rechts) sowie Unionspolitikern vom Bezirk, Kreis und den Kommunen (dahinter).

© Harald Munzinger Werner Dollinger im Kreis vieler Weggefährten wie Landtagsabgeordneter Karl Hillermeier und Bundestagsabgeordneter Carl-Dieter Spranger (von rechts) sowie Unionspolitikern vom Bezirk, Kreis und den Kommunen (dahinter).

Bei der zweiten Bundestagswahl am 6. September 1953 gewannen CDU und CSU mit einem Zuwachs von 14 Prozent mehr Stimmen, als selbst ihre größten Optimisten vermutet hatten. Erstmals in das Parlament berufen wurde damals der aus Neustadt/Aisch stammende Dr. Werner Dollinger, der dem Bundestag bis 1990 angehörte und mehrere Ministerämter begleitete.

Mit ihrem Wahlerfolg vor 70 Jahren sah die Union einerseits die Politik der Sozialen Marktwirtschaft und der Westintegration eindrucksvoll bestätigt. Andererseits sei auch aus Angst vor kommunistischer Bedrohung die Zustimmung zu Adenauers Politik erfolgt, zumal der Wahlkampf durch den Volksaufstand in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) vom 17. Juni 1953 überschattet war.

Gestärkt durch die Wahl, an der sich 86 Prozent der Bürgerinnen und Bürger beteiligt hatten, wurde am 9. Oktober Dr. Konrad Adenauer zum zweiten Mal zum Bundeskanzler gewählt und bildete eine Koalitionsregierung aus CDU/CSU, FDP, Deutscher Partei (DP) und Gesamtdeutscher Block/Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten (GB/BHE).

Postminister und mehr

Der studierte und promovierte Wirtschafts- und Staatswissenschaftler Dr. Werner Dollinger, der eigentlich seine Aufgabe als Unternehmer und in der Hilfe beim Wiederaufbau gesehen hatte, ließ sich als Gründungsmitglied der CSU (1945) nach seiner Schilderung nur deshalb zur Kandidatur für den Bundestag in der Überzeugung breitschlagen, „ohnehin nicht gewählt zu werden“. Ein Wahlsieg für die CSU sei ihm damals als aussichtslos erschienen, wie er später Weggefährten berichtete.

Die Anfänge auf dem Wahlplakat und die Erinnerung an seine einstige Bank im Bundestag, beim Besuch in der CSU-Bezirksgeschäftsstelle.

Die Anfänge auf dem Wahlplakat und die Erinnerung an seine einstige Bank im Bundestag, beim Besuch in der CSU-Bezirksgeschäftsstelle. © Harald Munzinger

Doch durch den kräftigen Stimmenzuwachs sollte alles ganz anders kommen: Dollinger wurde überzeugend gewählt und gehörte anschließend 37 Jahre dem Deutschen Bundestag an, mit breit aufgestellter Ämtervielfalt und als Bundesminister bei vier Bundeskanzlern. Dollinger war Bundesschatzminister, Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit, für das Post- und Fernmeldewesen und für Verkehr.

Zeit besonderer Herausforderungen

Jede Wahlperiode hatte ihre besonderen Herausforderungen. In den Anfangsjahren verabschiedeten die Abgeordneten aber Gesetze und trafen politische Entscheidungen, die für die Zukunft Deutschlands von grundlegender Bedeutung waren. Es ging unter anderem um die Bewältigung der Soziallasten und Kriegsfolgen sowie den Aufbau einer neuen sozial- und rechtsstaatlichen Ordnung. Dazu gehörten auch die Gesetze zur Rentenreform aus dem Jahre 1957, die das bis heute gültige Rentensystem mit der dynamischen Rente einführten. Außerdem wurden Versorgungs- und Entschädigungsgesetze für die Opfer der Naziherrschaft verabschiedet. Im Jahr 1955 ratifizierte der Bundestag die „Pariser Verträge“ und damit den Nato-Beitritt Deutschlands.

Am 5. Mai 1955, dem Tag des Inkrafttretens der Verträge, erlangt die Bundesrepublik ihre Souveränität. Die DDR dagegen wird nach den Aufzeichnungen Dollingers Schritt für Schritt in den von der Sowjetunion beherrschten Ostblock eingebunden und tritt 1955 dem Warschauer Pakt bei. Mit den Stimmen der Opposition verabschiedete der Bundestag am 6. März 1956 diverse Grundgesetzänderungen, um eine Bundeswehr zu schaffen. Ein Jahr darauf wurde mit den „Römischen Verträgen“ die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) begründet, eine Vorgängerorganisation der Europäischen Gemeinschaft. Dollinger gehörte von 1956 bis zur Auflösung 1958 der "Gemeinsamen Versammlung für Kohle und Stahl" an, ebenfalls ein Vorläufer der EU.

Vieles reformiert und Bleibendes geschaffen

Zu Dollingers herausragenden Leistungen gehörte beispielhaft das von ihm reformierte Post- und Fernmeldewesen, der Start der ICE-Züge, der Weiterbau des Main-Donau-Kanals und die Teilprivatisierung der VEBA. Sein Credo: „Vermögensbildung mit breiter Streuung für Jedermann.“ Für seine Verdienste erhielt er viele Auszeichnungen, unter anderem das Große Bundesverdienstkreuz mit Stern und Schulterband, den Bayerischen Verdienstorden und die Kreisehrenmedaille in Gold.

Vor fünf Jahren hatte die CSU mit einer Gedenkfeier die Leistungen Dollingers in Erinnerung gebracht, der am 10. Oktober 2018 genau 100 Jahre geworden wäre. In seiner Heimatstadt Neustadt/Aisch hoben die Festredner über Parteigrenzen hinweg übereinstimmend die Gradlinigkeit des im Jahr 2008 verstorbenen Politikers hervor.

Zum 70. Jahrestag der Wahl von Werner Dollinger in den Bundestag ist sein Wirken auf großen Schrifttafeln mit vielen Bilddokumenten im Zentrum der Kreisstadt dokumentiert.

Zum 70. Jahrestag der Wahl von Werner Dollinger in den Bundestag ist sein Wirken auf großen Schrifttafeln mit vielen Bilddokumenten im Zentrum der Kreisstadt dokumentiert. © Harald Munzinger

„Er hat ein wesentliches Kapitel der deutschen Geschichte mitgeschrieben: In den Zeiten des Wiederaufbaus zunächst auf kommunaler Ebene und auf dem Weg zum souveränen, sozialen Rechtsstaat in der Regierungsverantwortung an der Seite der Kanzler von Adenauer bis Kohl“, steht in einem Artikel über den Politiker, der „stets das Wohl der Menschen und den Aufbau des Landes nach dem Zweiten Weltkrieg im Sinn gehabt“ habe.

Mit vielen Auszeichnungen, unter anderem dem Großen Bundesverdienstkreuz mit Stern und Schulterband, dem Bayerischen Verdienstorden und der Kreisehrenmedaille in Gold wurde der Neustädter Ehrenbürger Werner Dollinger gewürdigt.

Mit vielen Auszeichnungen, unter anderem dem Großen Bundesverdienstkreuz mit Stern und Schulterband, dem Bayerischen Verdienstorden und der Kreisehrenmedaille in Gold wurde der Neustädter Ehrenbürger Werner Dollinger gewürdigt. © Harald Munzinger

Wertorientiertes Denken, geprägt von der wirtschaftspolitischen Kompetenz Ludwig Erhards, ergänzt um christliche Grundlagen, „solche vielfältig orientierten Persönlichkeiten könnten wir heute wieder mehr in der Politik gebrauchen“, würdigte der ehemalige Bundesminister und heutige Hohe Repräsentant für Bosnien-Herzegowina Christian Schmidt Werner Dollinger, dem er in den Deutschen Bundestag folgte. Schmidt nannte Dollinger eine „Ausnahmeerscheinung in der Politik“, der das politische Deutschland in der Nachkriegszeit entscheidend mitgeprägt habe, vom Aufbau einer jungen Demokratie bis hin zu großen Teilen der Infrastruktur, sowohl beim Post- und Fernmeldewesen als auch bei Verkehrswegen.

Stolz auf „großen Sohn der Stadt“

Für Neustadts Bürgermeister Klaus Meier (SPD) habe Dr. Werner Dollinger in 18 Jahren auch als Stadtrat und in insgesamt 14 Jahren als Mitglied des Kreistages die örtliche Entwicklung in schwerer Nachkriegszeit entscheidend geprägt und gefördert. Die Stadt sei „stolz auf ihren großen Sohn und Ehrenbürger auch im eigentlichen Wortsinn“, nach dem eine Straße benannt werden sollte. Ähnlich äußerte sich Altbürgermeister und Ehrenbürger Dr. Wolfgang Mück (SPD), der Dollinger als „tolerant, offenherzig und unabhängig“ beschrieb. Stets sei er für eine stabile und vom Recht bestimmte Ordnung eingetreten und die Hilfe für den Nächsten habe für ihn eine herausragende Rolle gespielt.

Bis ins hohe Alter blieb Werner Dollinger ein aufmerksamer Beobachter des politischen Geschehens.

Bis ins hohe Alter blieb Werner Dollinger ein aufmerksamer Beobachter des politischen Geschehens. © Harald Munzinger

Übereinstimmend wird noch heute von Dollinger als einer „stimmigen Persönlichkeit“ gesprochen, verlässlich und glaubwürdig im Denken und Handeln. Neben vielen anderen Aufgaben war er 25 Jahre Vorsitzender des Wirtschaftsbeirates der Union gewesen und gilt heute noch als Vorbild, weil er „mutige Weichenstellungen mit begleitete und für ihn die Begriffe Freiheit und Verantwortung untrennbar miteinander verbunden waren“. Das waren jedenfalls die Worte des heutigen Ehrenvorsitzende des Wirtschaftsbeirates und früheren Staatsministers Dr. Otto Wiesheu.

Jahrzehntelanges Wirken in den Synoden der Evangelischen Kirche ergänzte Dollingers politische Arbeit. Zudem sei er „ein Mann des Ausgleichs und des Dialogs“ gewesen, nicht nur mit Repräsentanten der Wirtschaft, sondern auch mit Arbeitnehmern und deren Organisationen. So wird der „Makler zwischen Bundes- und Landespolitik“ gewürdigt, der einst feststellte: „Nicht Politik verdirbt den Charakter, sondern es sind die schlechten Charaktere, die die Politik verderben.“

„Franke ohne Furcht und Tadel“

Allgemein wird von beeindruckenden Begegnungen und Gesprächen mit Werner Dollinger berichtet, sei es beim ihm zu Hause, im Ziegeleibüro, in kommunalen Gremien, bei Kirchentagen oder Parteiveranstaltungen. Legendär waren seine jährlichen Zusammenkünfte anlässlich der Neustädter Kirchweih im „Ratskeller“ mit Führungskräften verschiedener Ebenen und aus Politik und Wirtschaft. Hier sei stets „Tacheles“ geredet, ist es überliefert und bei der Pressekonferenz am nächsten Tag gab es stets traditionell Schnittlauchbrote, frische Milch und fränkische Bratwürste. Die „Zeit“ beschrieb ihn als „Franke ohne Furcht und Tadel“.

„Werner Dollinger hat sich um den Aufbau eines demokratischen Staates Deutschland verdient gemacht und wird uns in bester Erinnerung bleiben“, so der CSU-Kreisvorsitzender Dr. Christian von Dobschütz zu dessen denkwürdigem Einzug in den Bundestag vor 70 Jahren. Und der mittelfränkische CSU-Bezirksvorsitzende und Innenminister Joachim Herrmann schätzt ihn „durch seine Ausgeglichenheit und Nachdenklichkeit als Vorbild für nachfolgende Politikergenerationen“. Kritisch beobachtete er bis ins hohe Alter das politische Handeln in Bonn und Berlin, beklagte oft in Gesprächen, dass „nicht mehr regiert, nur noch agiert“ werde. Bei den heutigen nationalen wie internationalen politischen Irrungen und Wirrungen, Kriegen, Klima- und anderen Katastrophen würde Dr. Werner Dollinger, so ist man im CSU-Kreisverband überzeugt, „die Welt wohl kaum mehr verstehen“.

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