Insolvenz abgewendet

Rothenburg: Evangelische Jugendsozialarbeit sieht sich als landesweites Modell

25.5.2023, 15:09 Uhr
Ein Graffiti-Workshop für Jugendliche. In Rothenburg ob der Tauber wird gezielt versucht, jungen Menschen in Schwierigkeiten zu helfen.

© Claudia Pößnicker, NN Ein Graffiti-Workshop für Jugendliche. In Rothenburg ob der Tauber wird gezielt versucht, jungen Menschen in Schwierigkeiten zu helfen.

Es geht um junge Menschen, die Orientierung brauchen, die „am Rande der Gesellschaft stehen oder drohen abzurutschen, durchs Raster zu fallen“ sagt Thomas Raithel auf die Frage, was es mit der Evangelischen Jugendsozialarbeit (EJSA) auf sich hat, die vor allem bei Ausbildungsproblemen hilft sowie bei der Integration von Flüchtlingen. Er ist Geschäftsführer der für den größten Teil Westmittelfrankens zuständigen gemeinnützigen GmbH, und freut sich, dass man gerade eine drohende Insolvenz für die Einrichtung abwenden konnte und die Sozialarbeit fortbesteht.

Ohne den guten Ruf der Organisation hätten sich wohl kaum soviel großzügige Unterstützer gefunden: statt der notwendigen 90.000 sind schon fast 110.000 Euro an Spenden eingetroffen. Trotzdem sieht man die EJSA-Zukunft nur im Verbund mit einem größeren und leistungsstärkeren Träger, denn die Aufgaben nehmen zu und mehr Personal ist notwendig. Derzeit beläuft sich der Jahreshaushalt für die eGmbH schon auf 1,2 Millionen Euro.

Hautnahe Erfahrungen

Raithel erinnert im Gespräch an die Anfänge, seine Zeit in den achtziger Jahren als Jugenddiakon in der Tauberstadt. Da machte er hautnah Erfahrungen mit jungen Leuten und ihren Problemen, erfuhr wie schnell jemand in der Krise nicht mehr erreichbar ist. Für ihn gab es „ein Schlüsselerlebnis“. wie er es nennt. Ein früheres EJ-Mitglied hatte die Ausbildung nicht geschafft und geriet problembeladen in die Drogenszene. Der junge Mann starb schließlich an einer Überdosis Rauschgift.

­Das habe gezeigt, wie notwendig weiterreichende Betreuung sei. Die Verantwortung liege zwar immer beim Betroffenen, aber viele könnten es alleine nicht schaffen ihren Weg zu finden. 1999 sei man dann mit der Spätaussiedler-Thematik konfrontiert worden und wollte zur Integration beitragen. Bis 2001 (Gründung der gGmbH) habe es gedauert, ehe ein Projekt mit Sozialarbeiterstelle dazu finanziert war.

Die Ausbildungsförderung kam hinzu, sie ist dank guter Vernetzung unter anderem mit dem Dekanat, dem Präventions-Arbeitskreis der Stadt, dem Jugendzentrum, den Schulen und der Polizei entstanden. Im weiteren Schritt ging es um die berufliche Integration, wozu 2007 ein dreijähriges Projekt entstand. „In unserer dualen Ausbildung aus Betrieb und Berufsschule brauchte es eine externe Stelle, an die sich junge Leute direkt wenden können“ erzählt Thomas Raithel und vergleicht das mit einem Allgemeinarzt im Gesundheitswesen. Bei der Jugendarbeit existierten zwar viele Fachstellen, aber es fehle die allgemeine Beratungsstelle. Beispielswiese gehöre bei der EJSA eine vertiefte Berufsorientierung dazu.

Hunderte verschiedene Förderprogramme

Bundesweit gäbe es über 300 verschiedene Förderprogramme, Geld sei durchaus vorhanden, manchmal gehe es auch um die Anschlußbetreuung nach einer beruflichen Fördermaßnahme, die vielleicht nicht so erfolgreich war. „Nach unserer Schätzung fallen 20 Prozent der jungen Leute eines Ausbildungsjahrgangs durchs Raster“, sagt Raithel, der die wichtige enge Zusammenarbeit mit dem Jobcenter und auch dem Jugendamt betont. Zuständig ist man heute für den Stadt- und Landkreis Ansbach sowie den Kreis Neustadt/Aisch-Bad Windsheim und hat mehrere Anlaufstellen mit geschulten Kräften.

Wie kommen die Kontakte zustande? Anfragen laufen über Betriebe und Berufsschulen, man wirbt bei Messen und Firmen sowie in Schulen mit der Ausbildungsbetreuung. Das wöchentliche Job-Cafe ist ein zwangloser Anlaufpunkt. Allein im Coaching bestehe ein Bedarf von über 300 jungen Leuten pro Ausbildungsjahr. Hinzu komme die Flüchtlingsberatung, vieles laufe hier über die Mundpropaganda. Insgesamt rund 600 Leute pro Jahr unterstützt die EJSA. In assistierter Ausbildung haben 50-60 Prozent Migrationshintergrund, im Coaching 40 Prozent, sagt Raithel.

Der Bedarf nimmt zu

Bei Flüchtlingen, für die es diverse Beratungsstellen gebe, nehme der Bedarf stark zu, so durch Familiennachzug. Hilfen bei Behördengängen, bei Sprachkursen u.a. leiste das Integrationsteam der Jugend-Sozialarbeit, Heimatverlust und Kultur-probleme sind Stichworte. Rund 30 Prozent der jungen Migranten machten eine Berufsausbildung, bei den Deutschen gleichen Jahrgangs seien es 60 Prozent. Das belege den dringenden Nachholbedarf „für eine kultursensible Ausbildungsförderung, was nicht heißt, dass man alles durchgehen läßt“, so Raithel.

Er hält die Rothenburger EJSA mit ihrer umfassenden Beratungs- und Betreuungs-Kombination für „ziemlich einzigartig“. Und beklagt ein bundesweites „Hickhack“ von Zuständigkeiten, es gelte sich in der Angebots- und Fördervielfalt zurechtzufinden. Die Bundesarbeits-Gemeinschaft der Evangelischen Jugendsozialarbeit hat das erkannt und würdigte die Arbeit in Rothenburg, die folgende Segmente umfaßt: Assistierte Ausbildung, Ausbildungs-Coaching (auch für Geflüchtete), Begleitung/Beratung von Ausbildern, Jugendmigrationsdienst und Flüchtlingsberatung, „Respekt-Coach“ (mit Schulangeboten) und weitere Projekte z.B. Sprachmittler.

Bis dato gibt es 17 Vollzeitstellen, (meist pädagogisches Fachpersonal) mit Beratungsstellen außer in Rothenburg in Ansbach, Neustadt und Windsheim. Ehrenamtliche kommen dazu. Raithel sagt, man bräuchte fast die doppelte Zahl an Mitarbeitern, um alle Anforderungen zu erfüllen. Meistens seien die betreuten Personen zwischen 16 bis 30 Jahre alt.

Wichtiger Unterstützer

„Dass der Insolvenzverwalter den Betrieb übernimmt, ist nun vom Tisch!“ strahlt der Geschäftsführer. der gemeinnützigen GmbH, die ihren Sitz an historischem Ort in der ehemaligen Jakobsschule am Kirchplatz von St. Jakob hat. Das Dekanat ist Hauptgesellschafter und wichtiger Unterstützer im Verbund von insgesamt 14 Beteiligten. Man weiß ein großes Netzwerk im Hintergrund, um die Arbeit zu leisten.

„Lasst uns mal mit ein paar Millionen Euro drei Jahre lang unser Projekt weitermachen für Coaching und assistierte Ausbildung“, appelliert Geschäftsführer Raithel ganz forsch an den Bundesarbeitsminister. Es schwebt ihm ein bundesweiter Modellversuch mit bis zu fünfzehn Partnern vor, basierend auf dem örtlichen EJSA-Konzept: ein bedarfsgerechtes Fördern für junge Menschen egal welcher Herkunft und Religion.

Neuer Träger soll bald feststehen

Schon in wenigen Wochen soll feststehen, wer neuer Träger wird und zum Jahreswechsel der rechtliche Schritt vollzogen sein, heißt es. Raithel ist zuversichtlich, dass die Bemühungen mit dem Diakonischen Werk Bayern, dem EJSA-Landesverband sowie der Landeskirche zu einer guten Lösung führen. Und vielleicht tatsächlich auch zu einem Pilotprojekt für die Bundesrepublik. Die EJSA Rothenburg jedenfalls könne mit ihrem praxisnahen individuellenAngebot „jederzeit in Serie gehen“ gibt er sich überzeugt.

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