Jahrzehnte lang unentdeckt

Sensationsfund in Regensburg: Geheimes Personen-Versteck aus der NS-Zeit?

Minh Anh Nguyen

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21.12.2022, 19:28 Uhr
In der Regensburger Altstadt wurde ein mögliches Geheimversteck aus den 1930er-Jahren gefunden.

© Uwe Moosburger / Altrofoto In der Regensburger Altstadt wurde ein mögliches Geheimversteck aus den 1930er-Jahren gefunden.

Es ist eines der historisch wertvollsten Gebäuden in der Regensburger Altstadt. In der Brückstraße 4 steht das Wiedamann-Haus, welches teils noch aus dem 11. Jahrhundert stammt. Seit 1880 war das Haus im Besitz der Familie Wiedamann, bis es schließlich nach dem Ableben Richard Wiedamanns an Investoren verkauft wurde. Das historische Gebäude soll nun umgebaut werden - es sollen teils Wohnungen und neue Verkaufsräume entstehen. Während den Voruntersuchungen für die anstehenden Sanierungsarbeiten kam ein besonderer Fund ans Tageslicht.

Die Familie Wiedamann ist eine sehr traditionsreiche Familie in Regensburg - auch ihr Haus wird bereits seit mehreren Generationen durch die Stadt geschützt. Nach dem Verkauf des Gebäudes kontaktierten die Investoren aus diesem Grund die Denkmalschutzbehörde der Stadt Regensburg. Vor dem geplanten Umbau verschafften sich die Denkmalschützer einen Überblick. Während der Untersuchung entdeckten die Mitarbeitenden im ersten Obergeschoss des Gebäudes eine Schrankwand in einem Büro.

In einem Büro im ersten Obergeschoss entdeckten die Mitarbeitenden der Denkmalschutzbehörde die Schrankwand.

In einem Büro im ersten Obergeschoss entdeckten die Mitarbeitenden der Denkmalschutzbehörde die Schrankwand. © Uwe Moosburger / Altrofoto

"Wir haben lange überlegt: Was machen wir denn mit dieser Bücherwand? Bleibt Sie drinnen? Reißen wir es raus?", erzählte Wolfgang Dersch, Kulturreferent der Stadt Regensburg, unserer Redaktion. Bei genauerer Inspektion stellte sich schließlich heraus, dass sich die Rückwand des Schrankes verschieben lässt. "So ist im Endeffekt der Raum aufgetaucht."

Nach näherer Inspektion stellte sich heraus, dass sich die Rückwand des Schrankes verschieben lässt.

Nach näherer Inspektion stellte sich heraus, dass sich die Rückwand des Schrankes verschieben lässt. © Uwe Moosburger / Altrofoto

Geheimer Raum in Regensburg: "Ganz klar ein Versteck für Personen"

Das kleine Versteck war nur vier Quadratmeter groß, jedoch war es technisch und handwerklich perfekt gebaut, erklärt der für die Sanierungsarbeit zuständige Architekt Ferdinand Weber im Gespräch mit unserer Redaktion. Der Raum verfügt insgesamt über zwei Zugänge - einer führt in das Wiedamann-Haus in der Brückstraße, der andere in die ehemalige Werkstatt der Familie im Posthorngässchen. Neben einer doppelten Stahltür verfügt der Raum ebenfalls über einen Lüftungsschlitz. "Das war eigentlich ganz klar ein Versteck für Personen", so Dersch.

Immer wieder können bei Sanierungsarbeiten von historischen Gebäuden kleine Verstecke auftauchen, erzählt der Architekt. Doch ein völlig getarnter Hohlraum in dieser Größe, wo auch mehrere Menschen reinpassen, das ist außergewöhnlich. Noch ist unklar, wofür der Raum tatsächlich genutzt wurde. Die Töchter des verstorbenen Herrn Richard Wiedmann, welche das Haus verkauft haben, erklärten, dass sie den Raum bereits kannten. Sinn und Zweck wurde jedoch auch in der Familie Wiedamann nicht thematisiert. Zwischenzeitlich hieß es, der Schutzraum sei ein Versteck, dann dass es ein Lagerraum sei. "Es wurde eigentlich nie darüber gesprochen", erklärt Dersch.

Dass in dem Raum während der NS-Zeit jüdische Personen versteckt wurden, ist durchaus eine mögliche Erklärung. Der Raum wurde wohl zwischen 1930 und 1939 gebaut, erklärt Weber. Es besteht aber auch die Möglichkeit, dass andere verfolgte Minderheiten in dem Raum Schutz suchten, so der Kulturreferent. "Es gibt keine schriftlichen Dokumente, keine mündlichen Überlieferungen, die das verifizieren könnten – das sind alles Vermutungen."

Die Stadt Regensburg und die Investoren erwägen derzeit Möglichkeiten, um den entdeckten Schutzraum der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. Aufgrund der direkten Anbindung zum Treppenhaus kann der Raum begehbar gemacht werden, erklärt Dersch. Das wäre besonders für die Stadtgeschichte wichtig. "Man denkt immer, die Stadtgeschichte ist schon geschrieben. Aber es gibt immer wieder Entdeckungen, die das einfach neu schreiben lassen", erklärt der Kulturreferent. Umso wichtiger ist es aus diesem Grund, zeitgeschichtliche Dokumente öffentlich zugänglich zu machen.

Die Stadt Regensburg untersucht derzeit Unterlagen, durchforstet ihre Archive und befragt Historiker sowie auch die Wiedamann-Verwandtschaft, um die Geschichte hinter dem Schutzraum vervollständigen zu können. Jedoch wird sich vermutlich nichts Schriftliches finden lassen, erklärt Dersch. Aus diesem Grund hoffen die Mitarbeitenden auch, dass Personen mit Hinweise auf sie zukommen. "Wenn jemand was dazu beitragen kann, Geschichte noch genauer zu erzählen, dann freuen wir uns natürlich", so der Kulturreferent.