Theaterkritik zur Premiere

Der Weißenburger Glückskeks: Bunt, wild, süffisant, und mit viel Lokalkolorit

25.7.2022, 05:40 Uhr
Der Weißenburger Glückskeks: Bunt, wild, süffisant, und mit viel Lokalkolorit

© Miriam Zöllich, NN

Denn obwohl das Stück mit all seinen überzeichneten Figuren und gesellschaftlichen Fragestellungen in jeder deutschen Kleinstadt spielen könnte, verstecken sich im Glückskeks schon auffallend viele lokale Zutaten.

Zwar erklärt Autor Clemens Berger ganz ungerührt, dass Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen reine Interpretationssache seien – doch wer ihm als Vorlage für die Protagonisten gedient haben könnte, war das Gesprächsthema des Abends im Premierenpublikum. Ist das nicht...? Allmächd, ja, stimmt!

Scherenschnitte einer Kleinstadtgesellschaft

Da gibt es zum Beispiel den Unternehmer (Klaus Winkler), der sich gerne als Kulturförderer hervortut. Oder „Björn, den mutigen Polizisten“ (Lukas Hunecker), der an jeder Ecke Verschwörungen wittert. Die geschäftstüchtigen Social-Media-Influencer Özlem (Nina Silbereisen) und Mike (Manuel Adacker). Oder die stets umtriebige, gut vernetzte und Schlagzeilen jagende Journalistin vom Weißenburger Tagblatt (Lisa Fedkenheuer).

Ähnlich wie in Juli Zehs Bestseller Unterleuten sind es Scherenschnitte einer Kleinstadtgesellschaft, wie sie überall in Deutschland zu finden sind. Was ja im Umkehrschluss bedeutet, dass etliche real existierende Weißenburger ziemlich klischeehaft bestimmte soziale Rollen besetzen.

Auch die Story des Glückskeks beinhaltet lokalen Zündstoff. Die Chinesen wollen Weißenburg nachbauen. Und zwar auch noch besser. Klimafreundlich, mit perfekt ausgebautem öffentlichem Nahverkehr und Grünflächen anstelle von Parkplätzen.

Autofahren als Symbol für die Freiheit

Und hat sich sonst die Stadtpolitik für die Energie- und Mobilitätswende nicht wirklich interessiert, macht der aalglatte Bürgermeister (René Rüprich) sie plötzlich angesichts der Konkurrenz zur obersten Priorität und will auch im echten Weißenburg den Autoverkehr verringern.

Das gefällt einer Gruppe aufgebrachter Bürger um den „mutigen Polizisten“ Björn überhaupt nicht. Sie erheben das innerstädtische Autofahren zum obersten Symbol der Freiheit und wehren sich gegen eine diktatorische Umweltpolitik.

Das Ganze gipfelt im Sturm auf das Rathaus, der ganz verdächtig an den Sturm aufs Kapitol nach den letzten US-Wahlen erinnert. „Wir sind hier, wir sind laut, weil man uns die Autos klaut!“, skandiert die aufgebrachte Menge.

Ein Unsichtbarer, der alles sieht

Eingeflochten in diese Debatte wird ein zweiter Handlungsstrang. Der „Heilige Trinker“ Gerd (Sigi Zimmerschied) ist ein obdachloser Alkoholiker, ein Mensch am Rande der Gesellschaft. Oder eigentlich schon außerhalb. Kaum jemand nimmt ihn war, wie er in Lumpen und mit seinem Hab und Gut in einem Einkaufswagen durch Weißenburg schlurft.

Gerade deshalb, weil er unsichtbar ist, hat der Trinker aber einen erstaunlich klaren Blick auf die Stadt und ihren archetypischen Einwohner. Der „Homo Weißenburgensis“, der am liebsten in seinem „Bürgerkäfig“ direkt vors Geschäft fährt, um ja nicht zu viel Kontakt zu anderen Menschen oder – Gott bewahre – mit ihnen ins Gespräch zu bekommen.

Doch als Gerd sechs Richtige im Lotto tippt und der Jackpot von 45 Millionen Euro winkt, kann sich der ehemals Ausgestoßene vor Freunden kaum retten. Die verschiedensten Bürger, Politiker und Interessensgruppen wollen das Geld für ihre Ziele verwenden und den heiligen Trinker für sich vereinnahmen.

45 Millionen Euro - und die Sicherungen brennen durch

Als der aber plötzlich untertaucht und der Geldsegen auf der Kippe steht, brennen ein paar Sicherungen durch. Verschwörungstheorien, Angst, Frust und Sorge schaukeln sich auf und entladen sich in einem rasanten Spektakel auf der Bühne – und auf der großen Video-Leinwand.

Denn die spielt eine zentrale Rolle in der Inszenierung. Vorab gedrehte Videoszenen werden gekonnt und sekundengenau eingespielt und verschmelzen mit dem Schauspiel vor Ort zu einer Einheit, die von der ersten Sekunde an natürlich wirkt. Und geschickterweise packten die Regisseure Georg Schmiedleitner und Rebekka Gruber und Projektleiterin Antje Wagner mit den Filmsequenzen nochmal eine Extraportion Lokalkolorit in den Glückskeks.

Da können die Zuschauer etwa „live“ verfolgen, wie sich das Gerücht um die China-Kopie nach dem Flüsterpostprinzip in der Stadt verbreitet. Vom Bioladen über die Yoga-Gruppe am Seeweiher und den Stammtisch im Sigwart-Bräustüberl bis zur Theke des Dönerladens.

Der selbe Bäcker

Oft wurde in Hinblick auf das erste Stadtschreiberstück betont: Der Glückskeks ist kein Lebkuchen. Es stimmt: Das „Rezept“ hat diesmal jemand anderes geschrieben, und das neue Theaterstück ist thematisch und in der Erzählweise deutlich anders. Weniger plakativ, weniger düster, dafür ein bisschen süffisanter und vielschichtiger.

Regisseur Georg Schmiedleitner und Co-Regisseurin Rebekka Gruber.

Regisseur Georg Schmiedleitner und Co-Regisseurin Rebekka Gruber. © Miriam Zöllich, NN

Doch man merkt: Der Bäcker ist der selbe. Der Glückskeks ist eine typisch Schmiedleitnerische Inszenierung. Laut, bunt, bisweilen auch schrill, mit einprägsamen Bildern und Momenten. Unterm Strich ist es ein Stück, in dem ganz viel Weißenburg steckt. Von der intensiven Beschäftigung des Autoren mit den Themen und Personen der Stadt bis hin zur Umsetzung mit einem hochmotivierten Ensemble aus Profis und Laien.

Es ist ein Stück, das unterhält - und über das man sich idealerweise danach noch weiter unterhält. Ein Stück, das wichtige Diskussionen anstoßen kann.


Bis zum 7. August gibt es noch acht Aufführungstermine: https://glueckskeks.bergwaldtheater.de/Termine/.

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