Männer, die auf Tiger starren

1/x: Jyrki Jokipakka, finnischer Meister im Ringen (griech.-röm.)

Sebastian Böhm

Sportredaktion

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11.3.2024, 05:01 Uhr
Denis Reul blieb ohne Strafe. Ist das erstaunlich? Nein, zumindest nicht in der DEL.

© Daniel Bamberg, Imago Images Denis Reul blieb ohne Strafe. Ist das erstaunlich? Nein, zumindest nicht in der DEL.

Warm-up

  • Weil dieses Blog für Überreaktionen, fehlende Wörter, eine zunehmend ambivalente Beziehung zum Berichterstattungsobjekt und eine ungebrochene Liebe zu langen Aufzählungen von dies, das, Ananas, aber eben auch für Transparenz bekannt geworden ist: Wir waren heute nicht in Mannheim - aus Gründen. Beide Männer, die auf Tiger starren, haben an einem solchen Sonntag noch vielfältige andere Aufgaben, weshalb es heute noch nicht möglich war, dass einer von uns in die verbotene Stadt fährt. Am Donnerstag wird das natürlich anders sein. Weil etwas Aufregenderes als Eishockeyplayoffs aber noch immer nicht entdeckt worden ist, wollen wir hier trotzdem unsere Gedanken teilen - und bestenfalls ein wenig Werbung machen für unser Lieblingsformat.
  • Mannheim 2, Nürnberg 1. Nüchtern betrachtet ist nichts Außergewöhnliches passiert. Die Adler haben einen Heimvorteil genutzt, den sie sich zumindest für diese erste Playoff-Runde erarbeitet hatten. Am Dienstag können die Ice Tigers ausgleichen und die Serie zurück in die Stadt mit zweitgrößten Rangierbahnhof Deutschlands (Ergebnis des verzweifelten Versuchs, Monnem, Mnnhm oder Quadratestadt als Synonym zu vermeiden) zu schicken.
  • Das unbestimmte Gefühl, dass es die Ice Tigers am Freitag in Ingolstadt verpasst hatten, sich den vielversprechenderen Gegner zu sichern, hat sich an diesem Sonntagnachmittag nicht bestätigt. Allein Justin Schütz macht die Kölner Haie zu einem unangenehmen Gegner in den Playoffs. Beim 6:1 in Ingolstadt war zudem offensichtlich, dass es für die Haie kein Nachteil war, nicht in der mit Menschen und Erwartungen gefüllten Lanxess-Arena zu starten. In Bremerhaven wünschte man sich wahrscheinlich auch einen anderen Kontrahenten fürs Viertelfinale, um eine ganz erstaunliche Punkterunde in den Playoffs zu veredeln.
  • Es folgen letzte statistische Auffälligkeiten zur Punkterunde 23/24 der Nürnberg Ice Tigers:
  • Tim Fleischer hat die Saison mit 36 Punkten in 52 Spielen beendet. Ebenfalls auf 36 Punkte nach 52 Partien kam der einstige First-Rounder Dominik Bokk. Dies vor der Saison zu prognostizieren, wäre eindeutig als Hot Take durchgegangen. Nach direkten Vorlagen (also: ersten Assists) belegt Fleischer mit 16 ligaweit sogar Platz elf. Elis Hede ist spektakulärer, Danjo Leonhardt hat eventuell das größere Entwicklungspotenzial. Trotzdem bleibe ich dabei: Fleischers Wechsel nach Straubing bleibt der größte Verlust für die Ice Tiges.
  • Ebenfalls so sicherlich von niemandem vorhergesehen: Constantin Braun, 35 Jahre alt, kam bei den Ice Tigers auf die meiste Eiszeit. Braun stand zwar signifikant weniger auf dem Eis als noch in Bietigheim, unter der Anleitung von Tom Rowe aber reichen im Schnitt bereits 20 Minuten und 45 Sekunden zur Spitzenposition - ligaweit hingegen nur zu Rang 28. Allein in München (Blum, 20:15) und (erstaunlicherweise) Bremerhaven (Grönlund, 19:54) kamen die Dauerbrenner auf niedrigere Werte. Zwischendurch hatte ich hier Tom Rowes Obsession, die Eiszeit möglichst gleichmäßig zu verteilen, unverhohlen kritisiert. Und ein weiteres Mal hat sich gezeigt, wer von dieser Sportart unvergleichlich viel mehr versteht. Auf die längste Eiszeit pro Wechsel kam übrigens: Charlie Gerard mit durchschnittlich 51 Sekunden. Allerdings lässt sich das ziemlich einfach erklären. Gerard wurde immer wieder mit langen Pässen geschickt, während der US-Amerikaner mit einer hohen Erfolgsquote gegen das Icing und seine Gegner sprintete und Pucks an der Bande festmachte, nutzten seine Blockkollegen die Zeit nicht selten zum Wechseln.
  • Der großartige Le Affan hat für seine allumfassende Statistik Strafen in vier Kategorien eingeteilt. Nun spielten Strafminuten im Gesamtkonzept bei den Ice Tigers eine eher untergeordnete Rolle. In einer dieser Kategorien war jedoch ein Nürnberger führend. Markus unterteilte den Strafenkatalog in "Härte", "Fahrlässig", "Andere" und "Faul" (zum Beispiel: Haken, Halten, Beinstellen, Stockschlag) - und diese letzte Kategorie führte Dane Fox mit 16 Vergehen an. Nur Frankfurts Ben Blood hatte zudem mehr Spiele mit mindestens einer Strafe als Fox (22 zu 21).
  • Ryan Stoa schießt seine Tore gerne im ersten Drittel (Platz 5 mit sieben), Charlie Gerard im zweiten (3. mit zehn) und dass die Ice Tiger im Schlussabschnitt keinen herausragenden Scorer haben, ist nicht überraschend.
  • Bester Corsi-Wert bei den Ice Tigers: Evan Barratt (58,8% - ligaweit Platz 38). Bester Corsi-Wert in der DEL: Jan Urbas mit etwas mehr als 70 PROZENT.
  • Seine vorerst letzte Saison für die Ice Tigers beendete Daniel Schmölz als Topscorer. Mit acht Punkten in den letzten vier Spielen sicherte er sich diese Position. Dass er eher aus privaten Erwägungen nach Ingolstadt wechselt, schien trotzdem zwischendurch verkraftbar. Zuletzt aber hat Schmölz gezeigt, wie wichtig er noch immer sein kann. Topscorer der letzten zehn Spiele allerdings: Tim Fleischer mit zehn Punkten.
  • Zurück zur Playoff-Serie gegen Mannheim. Max Kislinger legte sich mit Yannick Proske an, Evan Barratt mit David Wolf und eigentlich allen Adlern. Am interessantesten aber waren die Kontaktaufnahmen zwischen Daniel Schmölz und Daniel Fischbuch. Letzterer hatte als Ice Tiger seinen Durchbruch als DEL-Scorer. Nach Fischbuchs Wechsel nach Düsseldorf sollte ihn Schmölz in Nürnberg ersetzen. Und erstaunlicherweise gelang dem Füssener genau das. Als Ice Tiger wurde auch er zu einem Point-per-Game-Scorer und zum Nationalspieler. Nun war das sicher nicht der Grund, warum die beiden schon in der vierten Minuten aneinandergerieten. Schmölz und Fischbuch schienen sich aber immer wieder zu suchen - und zu finden. Auch auf kuriose Art. In der 29. Minute missriet Schmölz eine Befreiung, sein Schuss landete auf der Mannheimer Bank und traf, genau, Fischbuch. In diesem Zusammenhang soll hier wieder einmal eine der unglaublichsten Geschichten geteilt werden, die das Eishockey-Karma bislang hervorgebracht hat:

https://youtu.be/Fe6mSrFr42M?si=K3uxRWtKVOPwgi2Q

  • Was genau nach der Schlusssirene passiert war, ließ sich anhand der MagentaSport-Bilder nicht seriös auflösen. Was und wer zu sehen war: Tyler Gaudet, der Danjo Leonhardt in den sogenannten Schwitzkasten genommen hatte; Korbinian Holzer, hier- und dorthin schlagend; und Denis Reul, der verzweifelt lächelnd, aber letztlich vergeblich versucht, Cole Maier zum Tanzen aufzufordern; Jyrki Jokipakka, dessen Aktionen in den DEL-Playoffs offenbar nach einem anderen Regelwerk bewertet werden; und eben Dane Fox mittendrin. Im Nachhinein gab es noch Strafen für Gaudet und Jack Dougherty und eben eine große Strafe gegen Fox, der zu diesem Zeitpunkt zumindest virtuell noch auf der Strafbank hätte sitzen müssen. Dass sich die Strafbanktür mit Spielende auch für ihn öffnet, spielte dabei offenbar keine Rolle. Aus Spiel eins ging er deshalb mit 34 Strafminuten (2 plus 10 aus der 53. Minute und einer Spieldauer). Ob das Konsequenzen für Spiel zwei am Dienstag hat, ließ sich am Abend nicht mehr abschließend klären.

Das Spiel

Schön war das nicht, eigentlich überhaupt nicht. Aber intensiv und deshalb auf eine seltsame Art attraktiv. Und trotzdem fällt es mir zunehmend schwer, solche Spiele zu genießen - insbesondere Spiele in der ersten Playoff-Runde. Und mehr hatte man in Nürnberg und mit Nürnberg zuletzt ja nicht mehr erleben dürfen. Diese unablässigen Einschüchterungsversuche, das Schubsen und Zerren und Ziehen, die ständigen Regelübertretungen - das alles, so heißt es zumindest, gehöre zu, ja, definiere die Playoffs. Mich nervt dieses Mackergetue, wenngleich nicht immer. Als Evan Barratt den Testosteron schwitzenden David Wolf angrinste oder als Simon Thiel im Knäuel vor dem Tor über Korbinian Holzers trash-talk lachen musste, waren das immerhin nette Momente während dieses immerwährenden Schwanzvergleichs.

Mannheims Mannschaft hätte 2023/2024 alles zu bieten, was es braucht, um die Saison als Meister zu abzuschließen: Skill, Speed, Erfahrung, Grit. Zunächst aber verließen sich die Adler nur auf etwas, das sie von allen anderen DEL-Teams unterscheidet: Size - Größe, Gewicht und die Bereitschaft, diese Vorteile konsequent einzusetzen. Die Ice Tigers hatten der so entstehenden Wucht nur wenig entgegenzusetzen, beeindrucken ließen sie sich von den Checks allerdings auch nicht. Julius Karrer, Barratt, Hede und Leonhardt waren nach härtesten Einschlägen sofort wieder auf den Beinen. War was?

Unablässig versuchten die Adler die Ice Tigers zu beeindrucken. Elis Hede war jedoch für Korbinian Holzer der Falsche.

Unablässig versuchten die Adler die Ice Tigers zu beeindrucken. Elis Hede war jedoch für Korbinian Holzer der Falsche. © IMAGO/Eibner-Pressefoto

Ja, es war dann schon etwas. Denn durch den Dauerdruck kamen die Adler zwar lediglich zu zwei echten Großchancen, die Niklas Treutle mit einem allmählich alltäglichen Spektakel zunichte machte. Nürnberg aber fand kaum zu seinem Spiel. In Puckbesitz wirkte sich das nicht aus, in Schüssen schon. "We tried like heck", fiel Tom Rowe dazu später nur ein. "Aber erst im dritten Drittel fingen wir an zu skaten. Und das lag nur daran, dass uns Mannheim zwei Drittel lang daran gehindert hatte."

Den wenigen Offensivaktionen der Ice Tigers fehlte es an der Präzision. Im Schlussabschnitt aber zeigte sich, was möglich gewesen wäre. Das abschließende Power-Play spielte Nürnberg mit einer Geduld und einer Genauigkeit zu Ende, die es öfter gebraucht hätte. Tim Fleischer traf spät im Nachschuss - nach einem Schuss von Jack Dougherty, der zuletzt meist hatte zusehen müssen und der erst in die Mannschaft rückte, weil Ian Scheid kurzfristig angeschlagen fehlte.

Daniel Fischbuch trifft in der ersten Playoff-Runde gegen die Ice Tigers. In Nürnberg kennt man das.

Daniel Fischbuch trifft in der ersten Playoff-Runde gegen die Ice Tigers. In Nürnberg kennt man das. © IMAGO/Eibner-Pressefoto/Daniel Bamberg

Nur stand es da bereits 0:2, weil Wolf ein erstes Mannheimer Power-Play schnell nutzte (und die Kombination mit Gawanke kaum zu verteidigen ist) und weil Cole Maier den Puck an der Bande zurück- und so den Adlern für einen Konter auflegte (Fischbuch kam über Umwege zu einem weiteren Playoff-Treffer).

Der Moment

Jyrki Jokipakka dürfte sich mehrmals für die finnischen Meisterschaften im Ringen (griech.-röm.) ins Gespräch bringen. Ryan Stoa erwischte Matthias Plachta einmal viel zu spät an der Bande. Das Halten von Denis Reul und Korbinian Holzer führte ebenfalls nicht zu Strafen, Stockschläge wurden auf beiden Seiten munter verteilt. Man kann ein solch intensives Spiel so pfeifen wie Martin Frano und Reid Anderson - nur ist das über 60 Minuten so konsequent kaum möglich.

Und so hätte man die 53. Minute als Negativbeispiel für eine solche Inkonsequenz heranführen können, weil es genau solche Cross-Checks zuvor dutzendfach gegeben hatte - ohne Folgen. Nur trifft es da eben erstaunlicherweise so oft Dane Fox, dass man da von Ungerechtigkeit kaum mehr schreiben kann. Fox beendete wieder einmal ein Power-Play. Dass er selbst danach im Power-Play fehlte, wirkte sich auch nicht negativ aus. Im Gegenteil.

Ein kurzer Blick in die Kommentarspalten zeigt mir, dass das viele Nürnberger Fans anders sahen, für meine Ansprüche war die Schiedsrichterleistung in Ordnung - auch weil die Strafe gegen Roman Kechter, die zum 0:1 führte, vollkommen korrekt war. Allerdings wirkt das illegale Anstupsen des Schlägers eines Kollegen im Vergleich zu Jokipakkas Einlagen wie die Beleidung "Blödian" inmitten des F-Bomb-Gewitters eines solchen Playoff-Spiels.

Three Stars

Spektakel-Saves, Stellungsspiel, Ruhe und Aggressivität - dabei hat Niklas Treutle in Mannheim doch eigentlich nur seine herausragende Form der letzten Wochen präsentiert.

Kein Tor durch Linden Vey gegen Niklas Treutle - natürlich nicht.

Kein Tor durch Linden Vey gegen Niklas Treutle - natürlich nicht. © Imago Images

Offensiv und aggressiv am Auffälligsten: Evan Barratt.

Immer mittendrin, ohne Rücksicht auf das eigene Wohlbefinden: Evan Barratt.

Immer mittendrin, ohne Rücksicht auf das eigene Wohlbefinden: Evan Barratt. © IMAGO/Eibner-Pressefoto/Daniel Bamberg

Von seinen harten Checks oftmals selbst überrascht: Marcus Weber. Der Kapitän steigerte sich von Drittel zu Drittel.

Kurz vor dem Einschlag: Marcus Weber bekämpft Korbinian Holzer mit dessen Waffen.

Kurz vor dem Einschlag: Marcus Weber bekämpft Korbinian Holzer mit dessen Waffen. © Imago Images

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