Buchbesprechung

Von Club bis SpVgg: Fachwissen für Fußballromantiker

31.3.2021, 13:48 Uhr
Auch das Eingangstor zum Sportgelände des ASV Herzogenaurach ist in Matthias Hungers Buch "Fußballheimat Franken" aufgelistet. Ein Prachtwerk, wie ein Tor zu einer anderen, alten Welt.

© Matthias Hunger (honorarfrei zur Buchbesprechung), NN Auch das Eingangstor zum Sportgelände des ASV Herzogenaurach ist in Matthias Hungers Buch "Fußballheimat Franken" aufgelistet. Ein Prachtwerk, wie ein Tor zu einer anderen, alten Welt.

Gerade jetzt muss dieses Büchlein empfohlen werden. In den Zeiten der verwaisten Sportplätze, der Geisterspiele im Max-Morlock-Stadion, in Zeiten, in denen "Groundhopping", also das systematische Reisen zu Fußballstadien, schlichtweg verboten ist.


Die alte Holztribüne des ASV Fürth ist Ziel von Groundhoppern


Da lässt einen dieser Reiseführer mit dem Titel "Fußballheimat Franken – 100 Orte der Erinnerung" fast erschaudern. Denn Orte der Erinnerung bleiben sie doch bitte nicht für ewig, sondern bald auch wieder Orte der Begegnung.

Autor Matthias Hunger, 1977 in Hersbruck geboren, hat von seinem Wohnort Nürnberg aus eine starke Sammlung angelegt. Von A wie Alzenau und seinem "Stadion am Prischoß" bis W wie Würzburg und der dortigen Sepp-Endres-Sportanlage hat er in den drei fränkischen Regierungsbezirken die wichtigsten Fußballplätze und -schauplätze kartiert.

Auf je einer Doppelseite beschreibt er auf teils rührende, teils beeindruckend detailverliebte Weise bekannte, aber auch in Vergessenheit geratene Vereine und Protagonisten. Dabei erinnert er an die graue Vorzeit, als sich nicht nur der 1. FC Nürnberg und die SpVgg Fürth, sondern auch Sparta Nürnberg, TuS Nürnberg-Ost, MTV sowie Tuspo Fürth Deutsche Meister nennen durften.

Was ist ein Schnüdel?

Und wer weiß denn überhaupt noch, dass Schweinfurt, Hof und Bayreuth einmal am Tor zur ersten Bundesliga angeklopft haben? Oder was es mit dem Wort "Schnüdel" auf sich hat, das zum Spitznamen der Schweinfurter Fußballer wurde.

Hunger schreibt: "Unter Schnüdel versteht man im Unterfränkischen den verschließbaren Luftschlauchzipfel zum Aufblasen des Fußballs, den nach dem Aufpumpen eine geschnürte Stelle verbarg." Was für eine Melodie dieser Satz hat, man stelle sich einen Unterfranken vor, wie er ihn ausspricht.

Hunger legt sogar nach, indem er erklärt, dass ausgerechnet ein Schweinfurter Spenglermeister die Schnüdel an den Bällen überflüssig machte: Denn Fritz Stöcklein erfand im Jahr 1920 das Rückschlagventil für luftgefüllte Bälle. Reich wurde er damit übrigens nicht, denn er verkaufte sein Patent, das er immerhin angemeldet hatte, an seinen Arbeitgeber, die Nürnberger Sportartikelfabrik Gutkind & Einstein.

Zum Einsatz kam die Erfindung bei einer weiteren vergessenen Weltfirma aus Nürnberg: Das Unternehmen Kaspar Berg, Spezialfabrik für Sport- und Turngeräte, produzierte in der Laufamholzstraße 70 in Mögeldorf die Boxhandschuhe für Max Schmeling und Joe Louis 1936, 1954 den WM-Fußball.

Flacheneckers Lottoladen

Ausgegraben hat der Autor auch den Nebenjob von Club-Torhüterlegende Heiner Stuhlfauth, der in seiner aktiven Zeit Gastwirt der "Sebaldusklause" war. Und Gustl Flacheneckers Lottoladen in der Rothenburger Straße steht exemplarisch für die Altersversorgung ehemaliger Cluberer. Eins ist klar: Mit diesem Fachwissen ist man ein Gewinn für jede Stammtischrunde nach dem Lockdown.

Aus Fürther Sicht besonders hinreißend sind neun Orte: die alte Holztribüne des ASV Fürth ist darunter, eine der ältesten erhaltenen Fußballtribünen Deutschlands. Aber auch die 2010 geschlossene Hauptschule in der Pfisterstraße 25, an der der Fürther Weltmeister Ertl Erhard Lehrer war.


Buchtipp: Was Sie bestimmt noch nicht über Fürth wussten


Im Kapitel über den MTV Fürth, heute MTV Stadeln, erinnert er an den Konflikt zwischen Fußball- und Turnverband. Und an den MTV-Fußballer Hans Lohneis, der 1920 der einzige deutsche Nationalspieler der Vereinshistorie war.

Erlangen widmet der Autor drei Doppelseiten. Er erinnert an die Erlanger Spielvereinigung, die sich laut Fachblatt kicker rühmen darf, das einzige Brüder-Trio im deutschen Profifußball ausgebildet zu haben. Denn Stephan, Klaus und Jürgen Täuber trugen später die Trikots des 1.FCN und von Schalke 04. Außerdem lässt er die Schauspielerin Elke Sommer von ihrer Liaison mit Günter Netzer erzählen: „Er kam mir immer wie ein Engel vor.“

Einen großen Raum nimmt Herzogenaurach in dem Sachbuch ein. Es ist zwar zu befürchten, dass Einheimische nicht mehr viel Neues über adidas, Puma und Loddar erfahren, doch immerhin ist das wunderschön verzierte Tor zum ASV-Sportplatz gebührend hervorgehoben.

Die Forchheimer wiederum dürfen sich mit dem Autor an die Bayernliga-Zeiten des Jahn erinnern und an den berühmten Sohn des Vereins: Roberto Hilbert. Er wurde nach seiner Ausbildung in Forchheim Nationalspieler, Deutscher Meister und Champions-League-Spieler. Dass der TSV Vestenbergsgreuth, Vorgängerverein von Hilberts Arbeitgeber SpVgg Greuther Fürth, Pokalgeschichte schrieb, wird die Kleeblattfans freuen.

Uerdingen stoppte die Träume

In Bayreuth zeichnet Matthias Hunger die Wachablösung nach, die den 1.FC, dem einzig erstklassigen Verein der Altstadt, im Lauf der Zeit hinter die SpVgg einordnete. 2003 verschwand schließlich der 1.FC im neugegründeten FSV Bayreuth. Doch das FC-Stadion an der Friedrich-Ebert-Straße ist ein Sehnsuchtsort geblieben, dem der Autor huldigt. Wer weiterblättert, hört sie dann schreien, die 22000 Zuschauer vom 14. Juni 1979. Doch vergeblich, denn sie scheitern am Aufstieg in die erste Bundesliga gegen Bayer Uerdingen. Für den modernen Fußball weitaus prägender ist das Bayreuther Institut für Sportwissenschaft, an dem auch Martin Bader das Rüstzeug erwarb, um Hertha BSC Berlin, 1.FC Nürnberg, Hannover 96, 1.FC Kaiserslautern und derzeit Alemannia Aachen zu managen.

Rührend gerät ein Blick auf die Sportgerätefabrik Erhard. Das Burgbernheimer Unternehmen, gegründet 1880, entwickelte das Fußballtor "Liga pro", an dem sich ohne Haken und Ösen kein stürzender Spieler und Torhüter verletzen konnte. Obwohl das Gehäuse in München, Wolfsburg, Leverkusen und Stuttgart stand, war nach zweimaliger Insolvenz im Jahr 2015 Schluss.

Die große Welt des Fußballs im kleinen Franken ist auch das Thema im Kapitel über Feucht. Der Besuch von Arsene Wenger, dem damaligen Trainer von Arsenal London, gehört zu den bekannten Anekdoten rund ums Waldstadion des 1.SC. Wenger sah sich höchstpersönlich den Fußballer Alberto Mendez an, der dann tatsächlich in England einen Vertrag unterschrieb, die große Karriere aber nicht hinlegte, wovon wiederum die Feuchter nach seiner Rückkehr profitierten.

Der Name Nie Ling Fung wird wiederum in Schwabach nicht sofort einen Aha-Effekt auslösen. Wohl aber vielleicht Andreas Nägelein, der in der Saison 2002/03 im Sportpark an der Nördlinger Straße zum Klassenerhalt beitrug. Nach einer Tingeltour bis in die Dritte Liga kam dann jedoch die Nominierung für die Nationalmannschaft. In Hongkong, im Land seiner Mutter, wurde Andreas Hannes Nie Ling Fung Nägelein Nationalspieler. Matthias Hunger formuliert dessen Werdegang wie eine Mutmach-Geschichte für alle zukünftigen Talente des SC 04 Schwabach.

In Roth kennt Heini Müller jedes Kind. Denn der Meisterspieler des 1.FCN Nürnberg von 1961 begann seine Laufbahn beim TSV Roth, der mit dem SC 2008 zur TSG wurde. Müller teilt mit dem Leser eine schöne Erinnerung. Im Endspiel um die Deutsche Meisterschaft flatterten dem damals 26-Jährigen die Hosen. Der Grund waren nicht die 82000 Zuschauer in Hannover gegen Borussia Dortmund, sondern: "Alle meine Rother Kumpel sahen sich das Spiel in einer Gaststätte an. Ich dachte, hoffentlich bist du heute nicht der Schlechteste." Es sollte das beste Spiel seiner Karriere werden: ein Tor vorbereitet, eines erzielt, 3:0, Nürnberg wurde Meister.

Fußballnerds kennen einige dieser Geschichten sicher schon, auf den 216 Seiten gibt es trotzdem genügend Neues zu entdecken.

Matthias Hunger: "Fußballheimat Franken - 100 Orte der Erinnerung", Arete Verlag, 216 Seiten, ISBN 978-3-942468-91-6.

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