Wirtschaftsweise im Interview

Veronika Grimm: Wir müssen die Warnsignale ernst nehmen

Alexander Jungkunz

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6.7.2023, 18:55 Uhr
Sieht Deutschland vor etlichen Herausforderungen: Veronika Grimm

© imago images/IPON, NN Sieht Deutschland vor etlichen Herausforderungen: Veronika Grimm

Manche klingen in diesen Wochen so, als drohe Deutschland der Absturz. Günther Oettinger sprach von einem „failed state“, andere sehen das Land deindustrialisiert… Schwarzmalerei oder treffend?

Es ist sehr berechtigt, anzumahnen, dass wir uns für die Zukunft mehr rüsten müssen. Und wir müssen uns auch aus dem aktuten Krisenmodus mit seinen vielen staatlichen Hilfspaketen wieder rausarbeiten. Fakt ist: Die Zeiten haben sich drastisch geändert. Olaf Scholz rief zu Recht die Zeitenwende aus nach Putins Angriff auf die Ukraine. Die neuen geopolitischen Veränderungen zwingen uns dazu, im Eiltempo unsere Hausaufgaben zu machen.

Was sind die dringlichsten Hausaufgaben?

Wir müssen unsere Energieabhängigkeiten reduzieren – da sind wird dran. Aber wir haben weit mehr Abhängigkeiten, die riskant sind. Beim Handel müssen wir die Abhängigkeit von China reduzieren, das geht nicht über Nacht und passiert nicht von selbst. Da agiert die Politik noch nicht konsequent genug. Sie müsste der Wirtschaft attraktive Optionen schaffen, sich auf andere Regionen zu konzentrieren, etwa durch Handelsabkommen mit Neuseeland, das nun auf den Weg gebracht wurde. Und Mercosur – das Abkommen mit Südamerika – ist dringend abzuschließen.

Die Strompreise müssen wieder sinken

Zuhause in Deutschland sind die Energiepreise und insbesondere die Strompreise zu hoch. Hier erleben wir eine heiße Debatte. Aber statt an neue Subventionen zu denken sollten wir strukturell dafür sorgen, dass die Preise wieder niedriger werden – durch den Ausbau der Energieversorgung und der Stromnetze.

Das Land steckt in der Rezession, das Wachstum ist schwächer als in anderen Staaten, manche Firmen gehen ins Ausland - das sind doch Alarmzeichen?

Durchaus. Wir sind zwar auf dem Weg aus der Krise heraus, aber Politik muss stärker dafür sorgen, dass es gute Gründe gibt, an zukünftig attraktive Standortbedingungen zu glauben. Wir gehen jetzt durch eine Phase der Stagnation – das war zuletzt erwartbar. Uns traf der Energieschock massiver als andere wegen der hohen Abhängigkeit. Die Inflation ist immer noch hoch, da ist die EZB weiter gefragt und darf nicht zu früh nachlassen beim Gegensteuern.

Vor 20 Jahren galt Deutschland als kranker Mann Europas. Sind wir wieder Patient?

Was man sich von damals abgucken kann: Wir müssen unsere Wettbewerbsfähigkeit wieder stärken – also: regulatorische Unsicherheiten reduzieren, richtige Anreize für mehr Wachstum setzen. Das ist schwer nach einer Phase massiver wirtschaftlicher Hilfspakete, die Härten in der Krise abfedern sollten. Nun entsteht der Anspruch, auch alle Härten der Transformation abzufedern. Dass der Umbau des Landes allen etwas abfordert, das wurde nun bei der Debatte ums Gebäudeenergiegesetz klar. Härten von allen fernzuhalten – das wird nicht funktionieren, aber es braucht Konzepte, um die soziale Balance im Zuge der Transformation zu wahren. Sonst scheitern wir.

Manche sagen, die Ampel sei an der aktuellen Schwäche schuld. Aber wurde unter den Vorgängerregierungen nicht viel versäumt – Investitionen in die Infrastruktur vor allem?

Das ist sicher so. Ich finde das Nachtreten gegen frühere Regierungen aber problematisch. Sie haben nicht schnell genug gehandelt, ja, und das Land in die hohe Abhängigkeit von Russland geführt. Aber man hat etwa den Emissionshandel eingeführt und den Willen, Bürokratie abzubauen und schneller zu werden, gab es da schon auch. Es hat eben nur nie geklappt.

Klappt es denn jetzt?

Das wäre eben entscheidend, aber es ist kein Selbstläufer. Beschleunigung von Genehmigungsverfahren, Digitalisierung, Ausbau der Erneuerbaren und der Netze – alles wichtig, alles stößt aber auf Proteste. Sobald man Projekte beschleunigen und Infrastruktur ausbauen will, trifft das immer einzelne Akteure, die sich wehren. Das führt zu langwierigen Gerichtsverfahren. Eine schwierige Gratwanderung zwischen dem Erhalten des Rechtsstaats und einer Beschleunigung.

Ist die Politik zu ängstlich – siehe den Streit ums Heizungsgesetz, das nun in einer wenig wirksamen Fassung kommt?

So werden wir die Klimaziele nicht erreichen. Aber es war absehbar, dass es verwässert wird. Weil den Menschen klar wurde, dass auch Ordnungsrecht signifikante Härten mit sich bringt. Nun wurde es entschärft – und erreicht wenig. Man hat quasi eine Ehrenrunde gedreht – und wird dennoch irgendwann den Emissionshandel scharfstellen müssen, um die Klimaziele zu erreichen.

Man hat momentan den Eindruck: Klimaschutz rutscht auf der Tagesordnung wieder deutlich nach unten…

Ja, leider. Und was mich beunruhigt: Die Parteien schaffen es nicht, aufeinander zuzugehen, um die Klimaziele - über die man sich ja einig ist – mit praktikablen Methoden zu erreichen. Das ist schwer verständlich.

Wir brauchen pro Jahr 1,5 Millionen Zuwanderer, sagt Ihre Kollegin Monika Schnitzer. Wie wollen Sie das einem Land vermitteln, das unter Flüchtlingsandrang und fehlendem Wohnraum ächzt?

Um das aktuelle Erwerbspersonenpotential zu halten braucht man 400.000 Zuwanderer pro Jahr, die auch bleiben – also netto. berücksichtig man die Abwanderung sind es 1,5 Millionen, die jährlich kommen müssen. Wir haben übrigens seit mehr als 10 Jahren eine Zuwanderung von deutlich mehr als einer Million Menschen jährlich.

Wir haben Fachkräftemangel und viele möchten die Vier-Tage-Woche, das passt auf den ersten Blick nicht zusammen…

Das passt überhaupt nicht zusammen. Aber die Menschen können frei entscheiden. Und die Verhandlungsmacht der Arbeitnehmer wird angesichts des Mangels an Personal stärker. Da ist der Wunsch nach mehr work-life-balance verständlich, aber eine Herausforderung für den Arbeitsmarkt.

Arbeiten die Deutschen zu wenig, fehlt es an den alten Tugenden wie Fleiß?

In der Tat kann eine Reduktion des verfügbaren Arbeitsvolumens dazu führen, dass wir unser Wohlstandsniveau nicht halten können. Das schwächt den Staat, auch die soziale Sicherung. Wir müssen die Staatsausgaben ja gemeinsam erwirtschaften. Aber es dürfte schwer sein, da ein Umdenken anzustoßen.

Was macht Ihnen Hoffnung angesichts all der Herausforderungen?

Wir sind ein Land, das sich immer wieder herausgearbeitet hat – durch Ideenreichtum und Leistungsbereitschaft. Wir haben eine junge Generation, die international und europäisch engagiert ist. Und motiviert, die Zukunft besser zu gestalten. Das Potenzial ist da. Wir müssen aber die Warnsignale ernst nehmen. Und auch für unsere Demokratie kämpfen. Sie gerät in vielen Ländern unter die Räder, auch wir erleben den Aufschwung rechts außen. Das muss zu denken geben. Und in einer Zeit mit wenig Wachstum, wo es wenig zu verteilen gibt, wird es noch schwerer, die Akzeptanz für die Demokratie aufrecht zu erhalten. Unser Wohlstand ist nicht gottgegeben, wir müssen dafür kämpfen. Ich bin aber fest davon überzeugt, dass die Menschen in Deutschland das auch können.