50 Jahre Gebietsreform

Warum sich ein ganzes Dorf im Rathaus verbarrikadierte

9.4.2022, 13:55 Uhr
Die Voraussetzungen für die spätere Gebietsreform in Bayern wurden bereits im Januar 1952 geschaffen, als die neue Gemeindeordnung in Kraft trat. In diesem Regelwerk waren zum einen die grundlegenden Rechte der Gemeinden definiert, gleichzeitig legte die Verordnung aber auch fest, dass die Anzahl der selbstverwalteten Gemeinden "beim Vorhandensein von dringenden Gründen des öffentlichen Wohls" gegen den Willen einzelner Gemeinden verändert werden kann. 
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50 Jahre Gebietsreform: Ein Rückblick

Die Voraussetzungen für die spätere Gebietsreform in Bayern wurden bereits im Januar 1952 geschaffen, als die neue Gemeindeordnung in Kraft trat. In diesem Regelwerk waren zum einen die grundlegenden Rechte der Gemeinden definiert, gleichzeitig legte die Verordnung aber auch fest, dass die Anzahl der selbstverwalteten Gemeinden "beim Vorhandensein von dringenden Gründen des öffentlichen Wohls" gegen den Willen einzelner Gemeinden verändert werden kann.  © NN-Grafik

Richtig los ging es in Bayern aber erst etwas später: In seiner Regierungserklärung am 25. Januar 1967 kündigte der damalige CSU-Ministerpräsident Alfons Goppel (hier im Bild) eine Gebietsreform im Freistaat an - die für ihn "wichtigste innenpolitische Aufgabe" der Legislaturperiode. Bis 1970 legte die von CSU-Innenminister Bruno Merk zusammengestellte Arbeitsgruppe zur Kommunalverwaltungsreform erste Vorschläge zur Neugliederung der Landkreise vor. 
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50 Jahre Gebietsreform: Ein Rückblick

Richtig los ging es in Bayern aber erst etwas später: In seiner Regierungserklärung am 25. Januar 1967 kündigte der damalige CSU-Ministerpräsident Alfons Goppel (hier im Bild) eine Gebietsreform im Freistaat an - die für ihn "wichtigste innenpolitische Aufgabe" der Legislaturperiode. Bis 1970 legte die von CSU-Innenminister Bruno Merk zusammengestellte Arbeitsgruppe zur Kommunalverwaltungsreform erste Vorschläge zur Neugliederung der Landkreise vor.  © DPA

Die Vorstellungen von SPD und CSU, wie das Ganze umgesetzt werden sollte, gingen jedoch auseinander: So plädierte die SPD dafür, die Regierungsbezirke und Landkreise aufzulösen und stattdessen Verwaltungsregionen zu schaffen. Die damals regierende Partei - die CSU - wollte dagegen die bisherige Grundstruktur Bezirk – Landkreis – Gemeinden beibehalten und lediglich die Zahl der Landkreise und der Gemeinden deutlich verringern. Bei der endgültigen Abstimmung 1971 (hier im Bild) setzte sich die CSU aufgrund ihrer Regierungsmehrheit durch. 
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Die Vorstellungen von SPD und CSU, wie das Ganze umgesetzt werden sollte, gingen jedoch auseinander: So plädierte die SPD dafür, die Regierungsbezirke und Landkreise aufzulösen und stattdessen Verwaltungsregionen zu schaffen. Die damals regierende Partei - die CSU - wollte dagegen die bisherige Grundstruktur Bezirk – Landkreis – Gemeinden beibehalten und lediglich die Zahl der Landkreise und der Gemeinden deutlich verringern. Bei der endgültigen Abstimmung 1971 (hier im Bild) setzte sich die CSU aufgrund ihrer Regierungsmehrheit durch.  © VNP

Die Umsetzung der Reform erfolgte in zwei Abschnitten, die zeitlich nacheinander durchgeführt wurden: Zunächst wurden im Jahr 1972 die Landkreise und kreisfreien Städte neu gegliedert. Die Zahl der Landkreise wurde dabei von 143 auf 71 reduziert. Zudem verloren 23 von ehemals 48 kreisfreien Städten ihren Status der Kreisfreiheit. Als Ausgleich durften sie fortan den Titel "Große Kreisstadt" tragen und erhielten zusätzliche Rechte gegenüber den übrigen Gemeinden. Gleichzeitig erfolgte auch eine Neuabgrenzung der Regierungsbezirke.
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Die Umsetzung der Reform erfolgte in zwei Abschnitten, die zeitlich nacheinander durchgeführt wurden: Zunächst wurden im Jahr 1972 die Landkreise und kreisfreien Städte neu gegliedert. Die Zahl der Landkreise wurde dabei von 143 auf 71 reduziert. Zudem verloren 23 von ehemals 48 kreisfreien Städten ihren Status der Kreisfreiheit. Als Ausgleich durften sie fortan den Titel "Große Kreisstadt" tragen und erhielten zusätzliche Rechte gegenüber den übrigen Gemeinden. Gleichzeitig erfolgte auch eine Neuabgrenzung der Regierungsbezirke. © dpa

In der zweiten Phase des Projekts, der Gemeindegebietsreform, sollte dann die Zahl der bayerischen Gemeinden reduziert werden. Um die großflächige Reform umzusetzen, versuchte es die Politik zunächst mit einer "Freiwilligkeitsphase". Fassten die Gemeinden bis zum 1. Januar 1976 Eingemeindungsbeschlüsse nach den Vorgaben des Innenministeriums, konnten sie mit finanziellen Zuschüssen rechnen. Zig Gemeinden folgten der Aufforderung, die übrigen wurden anschließend per Verordnung zusammengeschlossen. Im Ergebnis verringerte sich die Zahl der bayerischen Gemeinden von über 7000 auf knapp über 2000.
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In der zweiten Phase des Projekts, der Gemeindegebietsreform, sollte dann die Zahl der bayerischen Gemeinden reduziert werden. Um die großflächige Reform umzusetzen, versuchte es die Politik zunächst mit einer "Freiwilligkeitsphase". Fassten die Gemeinden bis zum 1. Januar 1976 Eingemeindungsbeschlüsse nach den Vorgaben des Innenministeriums, konnten sie mit finanziellen Zuschüssen rechnen. Zig Gemeinden folgten der Aufforderung, die übrigen wurden anschließend per Verordnung zusammengeschlossen. Im Ergebnis verringerte sich die Zahl der bayerischen Gemeinden von über 7000 auf knapp über 2000. © Rudolf Contino/VNP

Mit der Reform verfolgte die bayerische Staatsregierung verschiedene Ziele: Unter anderem hieß es, dass die finanziellen und auch personellen Ausstattungen besonders bei den kleinen Gemeinden für die Anforderungen nicht mehr ausreichend seien. Stattdessen bräuchte es große Verwaltungen mit hauptamtlichem Personal und moderner Technik. Zudem sollte durch die Zusammenlegungen die Infrastruktur wie etwa Kindergärten oder Verkehrsmittel auch in den ländlichen Gebieten sichergestellt werden. In Stadt und Land sollten damit weitgehend gleiche Lebensbedingungen hergestellt werden.  
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50 Jahre Gebietsreform: Ein Rückblick

Mit der Reform verfolgte die bayerische Staatsregierung verschiedene Ziele: Unter anderem hieß es, dass die finanziellen und auch personellen Ausstattungen besonders bei den kleinen Gemeinden für die Anforderungen nicht mehr ausreichend seien. Stattdessen bräuchte es große Verwaltungen mit hauptamtlichem Personal und moderner Technik. Zudem sollte durch die Zusammenlegungen die Infrastruktur wie etwa Kindergärten oder Verkehrsmittel auch in den ländlichen Gebieten sichergestellt werden. In Stadt und Land sollten damit weitgehend gleiche Lebensbedingungen hergestellt werden.   © DPA

Besonders die kommunale Gebietsreform beziehungsweise die drohenden Zwangsehen nach der Freiwilligkeitsphase kamen allerdings nicht überall gut an. In der Region sorgte vor allem der Protest des unterfränkischen Dorfs Ermershausen für Schlagzeilen: Mit einem Autowrack und Eichenstämmen errichteten die Bewohner dort eine Straßensperre, um so gegen die Eingemeindung zum Nachbarort Maroldsweisach zu protestieren. Zudem verbarrikadierten sich die Bürger im Rathaus - am Ende musste das Gebäude mit Hilfe von Polizisten zwangsgeräumt werden. 
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Besonders die kommunale Gebietsreform beziehungsweise die drohenden Zwangsehen nach der Freiwilligkeitsphase kamen allerdings nicht überall gut an. In der Region sorgte vor allem der Protest des unterfränkischen Dorfs Ermershausen für Schlagzeilen: Mit einem Autowrack und Eichenstämmen errichteten die Bewohner dort eine Straßensperre, um so gegen die Eingemeindung zum Nachbarort Maroldsweisach zu protestieren. Zudem verbarrikadierten sich die Bürger im Rathaus - am Ende musste das Gebäude mit Hilfe von Polizisten zwangsgeräumt werden.  © dpa

Doch auch nach der Eingemeindung hielt der Protest des Dorfes an – mit Erfolg. 1994 erreichte Ermershausen wieder seine Selbstständigkeit - so wie auch einige andere Gemeinden. Vor allem auch weil der CSU-Parteivorsitzende Franz Josef Strauß Teilen der Reform kritisch gegenüberstand. 1979, ein Jahr nach seiner Wahl zum bayerischen Ministerpräsidenten, wurde gegen das Votum von SPD und FDP eine Nachkorrektur der Gebietsreform durchgeführt: 210 Gemeinden erhielten ihre Selbständigkeit zurück.
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50 Jahre Gebietsreform: Ein Rückblick

Doch auch nach der Eingemeindung hielt der Protest des Dorfes an – mit Erfolg. 1994 erreichte Ermershausen wieder seine Selbstständigkeit - so wie auch einige andere Gemeinden. Vor allem auch weil der CSU-Parteivorsitzende Franz Josef Strauß Teilen der Reform kritisch gegenüberstand. 1979, ein Jahr nach seiner Wahl zum bayerischen Ministerpräsidenten, wurde gegen das Votum von SPD und FDP eine Nachkorrektur der Gebietsreform durchgeführt: 210 Gemeinden erhielten ihre Selbständigkeit zurück. © Stark

Nach dem ersten Aufschrei unterstütze jedoch die Mehrheit der bayerischen Bürger die vorgenommene Gebietsreform. Das zeigte sich vor allem bei zwei erfolglosen Volksbegehren. So strebte zunächst eine Gruppe, bekannt als "Riedenburger Kreis", 1971 einen Volksentscheid zur Festschreibung einer parlamentarischen Zweidrittelmehrheit für Gebiets- und Bestandveränderungen an. Sie scheiterten krachend, lediglich 3,7 Prozent der Wahlberechtigten beteiligten sich. Eine weitere Initiative, die sich im Jahr 1976 gründete, versuchte erneut ein Volksbegehren ins Laufen zu bringen – doch auch dieses blieb ohne Erfolg. 
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Nach dem ersten Aufschrei unterstütze jedoch die Mehrheit der bayerischen Bürger die vorgenommene Gebietsreform. Das zeigte sich vor allem bei zwei erfolglosen Volksbegehren. So strebte zunächst eine Gruppe, bekannt als "Riedenburger Kreis", 1971 einen Volksentscheid zur Festschreibung einer parlamentarischen Zweidrittelmehrheit für Gebiets- und Bestandveränderungen an. Sie scheiterten krachend, lediglich 3,7 Prozent der Wahlberechtigten beteiligten sich. Eine weitere Initiative, die sich im Jahr 1976 gründete, versuchte erneut ein Volksbegehren ins Laufen zu bringen – doch auch dieses blieb ohne Erfolg.  © Rudolf Contino / VNP

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