Abgerissen, nachverdichtet, verbreitert

Ein Desaster der Stadtplanung: Wie die Ostendstraße in Nürnberg-Mögeldorf verhunzt wurde

30.1.2024, 11:00 Uhr
Links eine Ansichtskarte von 1916, rechts die heutige Ansicht. Wäre der Schulturm nicht, ein Ortsfremder würde den Abschnitt der Ostendstraße zwischen der heutigen Einmündung der Mögeldorfer Hauptstraße und der Thusneldaschule nicht wiedererkennen. 

© Ansichtskarte: unbekannt (Sammlung Sebastian Gulden)/Foto: Boris Leuthold Links eine Ansichtskarte von 1916, rechts die heutige Ansicht. Wäre der Schulturm nicht, ein Ortsfremder würde den Abschnitt der Ostendstraße zwischen der heutigen Einmündung der Mögeldorfer Hauptstraße und der Thusneldaschule nicht wiedererkennen. 

Es gibt Orte, die würde man ohne zwingende Gründe nicht freiwillig besuchen, so abweisend erscheinen sie bei der flüchtigen Durchfahrt. Mögeldorf ist so ein Beispiel, teilweise jedenfalls: Wer nicht weiß, dass der alte Ortskern, der Tiergarten oder die Villensiedlung Ebensee mit idyllischen Straßenzügen und großartigen Baudenkmalen locken, der will den Moloch einfach nur ganz schnell hinter sich lassen. Dabei war alles bis Ende der 1960er Jahre noch recht beschaulich. Dann aber kamen die Stadtplaner und mit Ihnen der radikale Wandel.

Die Wege sollten sich trennen

Im Grunde war der Ansatz, den Hans Bernhard Reichow und andere Verfechter der „autogerechten Stadt“ ersannen, richtig und menschenfreundlich: Ihr Anliegen war es, die Wege des Fußgängers bzw. Radfahrers und des motorisierten Verkehrs bestmöglich zu trennen. Wenn der rollende Verkehr aber an einer Stelle verbannt wird, muss er an einer anderen fließen können. Damit es dort flutscht, braucht es ausreichend bemessene Verkehrswege.

Der Durchbruch der Ostendstraße zwischen Mögeldorfer Haupt- und Schmausenbuckstraße ist ein „Unort“ sondergleichen. Daran ändern auch die gestaffelten Fassaden der Wohnhäuser links nichts.

Der Durchbruch der Ostendstraße zwischen Mögeldorfer Haupt- und Schmausenbuckstraße ist ein „Unort“ sondergleichen. Daran ändern auch die gestaffelten Fassaden der Wohnhäuser links nichts. © Boris Leuthold

Weil die alte Mögeldorfer Ortsdurchfahrt am Fuße des Kirchenberges dafür zu eng war und der massiv gewachsene motorisierte Verkehr Umwelt und Lebensqualität vor Ort massiv belastete, schuf die Stadt Nürnberg 1969 bis 1972 zwischen dem Abzweig der Mögeldorfer Haupt- und der Schmausenbuckstraße einen Durchstich. Der wirkt in seiner Enge wie der asphalt- und betongewordene Weltenburger Donaudurchbruch, bloß leider mit trister Aussicht auf belanglose Rasterfassaden mit Kieselbetonbalkone.

Modern, aber unpassend

Denn man nutzte den Straßenbau und die Abbrüche für die Verbreiterung der Fahrbahn auch gleich dazu, die Bebauung an der Ostend- und der Hauptstraße massiv nachzuverdichten. Die neuen kastenförmigen Fünfgeschosser mit Treppenhausrisaliten und Flachdächern boten modernen Wohn- und Geschäftsraum, passten aber zum historischen Ortsbild wie die Faust aufs Gretchen.

Um 1925 zeigte sich die Ostendstraße 176 mit der Bierwirtschaft Hausner als schmuckes Vorstadthaus mit Klinkerfassaden, Sandsteinsockel und -bauschmuck im Stil der Neorenaissance.

Um 1925 zeigte sich die Ostendstraße 176 mit der Bierwirtschaft Hausner als schmuckes Vorstadthaus mit Klinkerfassaden, Sandsteinsockel und -bauschmuck im Stil der Neorenaissance. © Sammlung Sebastian Gulden, NNZ

Obwohl Fassaden und Dachlandschaft heute vereinfacht sind, bezeugt der kleine Bau immer noch anschaulich, wie die Bebauung an der Ostendstraße vor 1969 ausgesehen hat.

Obwohl Fassaden und Dachlandschaft heute vereinfacht sind, bezeugt der kleine Bau immer noch anschaulich, wie die Bebauung an der Ostendstraße vor 1969 ausgesehen hat. © Boris Leuthold, NNZ

Gleichwohl war das irgendwo auch schon egal, denn von der alten Bausubstanz an der Ostendstraße zwischen Ring und Schmausenbuckstraße blieben bis heute – und das muss man bei einer Straßenlänge von rund einem Kilometer erst einmal schaffen! – nur acht Altbauten übrig. Neben dem Taubershof, der einer Tankstelle weichen musste, wurden fast alle der ein- bis zweigeschossigen Wohn- und Geschäftshäuser, die im 19. und frühen 20. Jahrhundert in der „Neuhausen“ genannten Siedlung im Westen Alt-Mögeldorfs errichtet worden waren, zerstört.

Die um 1850 erbauten Häuser Mögeldorfer Hauptstraße 5 und 7 gehören zu den wenigen, die den Umbau der Ortsdurchfahrt überlebt haben. Die "schöne Aussicht" - der Name der Gaststätte - ist allerdings nur noch bedingt gegeben.

Die um 1850 erbauten Häuser Mögeldorfer Hauptstraße 5 und 7 gehören zu den wenigen, die den Umbau der Ortsdurchfahrt überlebt haben. Die "schöne Aussicht" - der Name der Gaststätte - ist allerdings nur noch bedingt gegeben. © Boris Leuthold, NNZ

Was die Stadt, die Pendler und wohl auch einige Mögeldorfer (der Bürgerverein indes wehrte sich erbittert dagegen) einst als verheißungsvolles Zeichen einer strahlenden, modernen Zukunft sehen wollten, erweist sich heute als städtebauliches und architektonisches Desaster.

Der Leidensdruck war groß

Ein Aburteilen dieser Maßnahme wäre gleichwohl übereilt: So grauenhaft sie auch auf viele von uns Heutigen wirken mag, man sollte sie doch auch durch die Linse der damaligen Zeit mit ihrem unerschütterlichen Glauben an die motorisierte Freiheit, dem noch kaum ausgeprägten Bewusstsein für Denkmalschutz und dem hohen Leidensdruck für die Einwohner durch die Blechlawinen sehen, die sich tagein, tagaus durch den Ort schoben.

Beispiele wie die neue Mögeldorfer Ortsdurchfahrt sind am Ende Zeugnisse ihrer Entstehungszeit. Man kann sie gut finden oder nicht. Auf jeden Fall aber haben sie stets das Potential, dass wir aus ihnen für die Zukunft lernen – und es vielleicht dereinst besser machen.

Diese Serie lädt zum Mitmachen ein. Haben Sie noch historische Fotografien oder Darstellungen eines Schauplatzes in Nürnberg? Dann schicken Sie uns diese bitte zu. Wir machen ein aktuelles Foto und erzählen die Geschichte dazu. Per Post: NN/NZ, Lokalredaktion, Marienstraße 9, 90402 Nürnberg; per E-Mail an
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