Reise in die Vergangenheit

Nürnberger Opernhaus: Als Hitler das Stadttheater zum Ausflugsdampfer machte

12.12.2021, 14:16 Uhr
Der Prachtbau am Richard-Wagner-Platz glänzt auch mit Geschichte und versteckten, inneren Werten. In einer Serie stellen wir beides vor.

© Daniel Karmann/dpa Der Prachtbau am Richard-Wagner-Platz glänzt auch mit Geschichte und versteckten, inneren Werten. In einer Serie stellen wir beides vor.

Jeder kennt das Nürnberger Opernhaus, doch nur ein kleiner Teil kennt auch seine inneren Werte. In unserer Serie werden Sie außerdem Teile des gigantischen Hauses sehen, die sonst nur die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu Gesicht bekommen. Heute beginnen wir unsere Tour durch den Zuschauerbereich.

Derzeit ist das Nürnberger Opernhaus in aller Munde, und zwar wieder einmal des lieben Geldes wegen, das die anstehende Generalsanierung kosten wird. Das war schon 1905 so, als die Pforten des Neubaus öffneten. Da herrschte bedröppelte Stimmung unter den Festgästen, hatte der Prunkbau doch das x-fache des avisierten Betrages gekostet.

Schuld daran waren vor allem das Hickhack um die äußere Gestaltung des Bauwerkes und der Brandschutz – beides also berechtigte Posten, denn niemand wollte einen hässlichen Monumentalbau im Vorzimmer der Stadt und erst recht keine zweite Feuerkatastrophe à la Wiener Ringtheater. Am Ende ging die Sache gut aus, denn das Opernhaus wuchs den Nürnbergern ans Herz wie eine zweite Kaiserburg. Auf Henrich Seelings neubarocken Prunkbau ist wohl ein jeder stolz.

Wer heute eine Aufführung in der Musenstätte besucht, kommt aber leider kaum noch in den Genuss der Jugendstilpracht, die einst das Innere zierte. Der Wankelmut des Opernfans Adolf Hitler sorgte 1935 mit einer Hauruck-Aktion dafür, dass ein Großteil der Stuckaturen, Plastiken und Malereien im wahrsten Sinne des Wortes zu Staub zerfiel.

Der Charme war weg

Im öffentlichen Bereich des Hauses blieben fast nur die Grundstrukturen des Seeling’schen Baus erhalten. Stattdessen obwaltet nun der kühle "Dampferstil", so benannt, weil seine dem Klassizismus und Barock anverwandten Formen gerne zur Einrichtung von Ausflugsdampfern und Kreuzfahrtschiffen verwendet wurden. Das Ergebnis des Umbaus sorgte schon in der NS-Zeit selbst bei Hitler für überschaubare Begeisterung. Mehrere Sanierungen – die letzte in den 1990er Jahren – hatten sich schon daran versucht, dem Opernhaus wieder etwas mehr Charme einzuhauchen.

Adolf Hitler war ein großer Opernfan. Zu den Reichsparteitagen der NSDAP legte auch das Nürnberger Opernhaus entsprechenden Fahnenschmuck an.

Adolf Hitler war ein großer Opernfan. Zu den Reichsparteitagen der NSDAP legte auch das Nürnberger Opernhaus entsprechenden Fahnenschmuck an. © Staatstheater Nürnberg

Den unverdünnten Dampferstil erleben wir schon beim Betreten der Kassenhalle: Jenseits der drei Eingangsarkaden, an deren Innenseiten Reliefs von Hans Panzer prangen – sie zeigen eine Kithara (ein antikes Saiteninstrument), drei Masken und ein Portativ (eine kleine Orgel) als Sinnbilder für Singspiel, Theater und Musik – empfängt uns eine großzügige Marmortreppe, deren geschweifte Wangen und Kunstschmiedegeländer von barocken Vorbildern inspiriert sind.

Elegant, aber kühl wirkt der Parkettumgang mit seinen ausladenden Treppen und Geländern in Barockform. Die etwas spröde Anmutung sollte nach Willen der NS-Planer im Kontrast zu dem als aufdringlich empfundenen Jugendstil von einst stehen.

Elegant, aber kühl wirkt der Parkettumgang mit seinen ausladenden Treppen und Geländern in Barockform. Die etwas spröde Anmutung sollte nach Willen der NS-Planer im Kontrast zu dem als aufdringlich empfundenen Jugendstil von einst stehen. © Sebastian Gulden

Durch fünf filigrane Glastüren der 1950er Jahre mit den geätzten Stadtwappen von Ansbach, Erlangen, Nürnberg, Fürth und Bayreuth geht’s in den Umgang des Parketts. Hier und in den darüber liegenden Vorräumen des Zuschauerhauses mit den schlichten Voutendecken, den Kassettentüren und den Agraffen mit Eichen- und Lorbeerblättern über den Arkaden fühlt man sich tatsächlich ein wenig wie auf einem historischen Kreuzfahrtschiff.

1935 ersetzte eine gekehlte Flachdecke die frühere Korbbogentonne der Kassenhalle und lässt den Raum etwas gedrückt wirken. Die Leuchter stammen von der Generalsanierung der 1990er Jahre. 

1935 ersetzte eine gekehlte Flachdecke die frühere Korbbogentonne der Kassenhalle und lässt den Raum etwas gedrückt wirken. Die Leuchter stammen von der Generalsanierung der 1990er Jahre.  © Sebastian Gulden

Immerhin: Die Rückwand eines Muschelbrunnens im Parkett (heute hinter einer Leichtbauwand verborgen), die eisernen Geländer im dritten Rang und einige Heizkörper-Einhausungen widerstanden dem Nazi-Umbau. Außerdem legte man bei der Generalsanierung 1996 in einer Sitznische die originale Farbfassung frei, die einen kleinen Eindruck vermittelt vom Prunk der Jugendstilausstattung.

Den arg ramponierten Muschelbrunnen im nördlichen Parkettumgang von 1905 ließen die NS-Baumeister hinter einer Leichtbauwand verschwinden. Die originale Brunnenschale befindet sich heute im Künstlerhaus. 

Den arg ramponierten Muschelbrunnen im nördlichen Parkettumgang von 1905 ließen die NS-Baumeister hinter einer Leichtbauwand verschwinden. Die originale Brunnenschale befindet sich heute im Künstlerhaus.  © Sebastian Gulden

Völlig verändert zeigt sich dagegen das Foyer, der heutige "Glucksaal": Hier ersetzten 1935 eine gekehlte Flachdecke und ein einfarbiger Anstrich das Rabitz-Tonnengewölbe, die Scheinarchitekturen und die fantastischen Illusionsmalereien von einst. Weil Hitler auf Biegen und Brechen zwei martialische Monumentalgemälde an den Schmalseiten des Saales angebracht sehen wollte, entfielen die Galerien, die den zweiten Rang mit kleinen Räumen an der Ostfassade verbanden. Diese – noch immer im Geiste des Jugendstils ausgemalt – erreicht man seither nur noch über Revisionsluken in den Räumen darunter. Mit diesem bizarren Funfact beschließen wir den ersten Teil unserer Entdeckungsreise, um uns im nächsten Akt den Treppenhäusern und dem Zuschauerhaus zu widmen.

Seit der farbigen Neugestaltung durch Hans Heid 1998 wirkt das Foyer im ersten Rang, das den Namen des Komponisten Christoph Willibald Gluck trägt, wieder etwas einladender.

Seit der farbigen Neugestaltung durch Hans Heid 1998 wirkt das Foyer im ersten Rang, das den Namen des Komponisten Christoph Willibald Gluck trägt, wieder etwas einladender. © Sebastian Gulden

Über den Autor: Sebastian Gulden ist als Denkmalpflegerischer Gutachter, Bau- und Kunsthistoriker in Nürnberg tätig. Über das Opernhaus hat er im Auftrag des Staatstheaters Nürnberg eine mehrbändige Dokumentation angefertigt, die als Grundlage für die anstehende Generalsanierung dient.

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