Ziel ist eine starke SPD

Hubertus Heil im Gespräch mit unserer Redaktion: "Ich bin gerne Arbeitsminister"

27.7.2021, 09:29 Uhr
Hubertus Heil (2. von rechts) machte bei seinem Besuch in Fürth auch Halt in den Räumen der Redaktion in den Malzböden.

© Hans-Joachim Winckler, NN Hubertus Heil (2. von rechts) machte bei seinem Besuch in Fürth auch Halt in den Räumen der Redaktion in den Malzböden.

Die Legislaturperiode neigt sich dem Ende zu. Zeit, um Bilanz zu ziehen. Bei welchen Themen sind Sie in den vergangenen Jahren morgens voller Vorfreude ins Büro gefahren?

Ach, das war eine Reihe von Themen. Gute Tage waren zum Beispiel, wenn es darum ging, Arbeitsplätze zu sichern, die Grundrente durchzusetzen oder zu ändern, was schon lange ungerecht waren, etwa die Ausbeutung in der Fleischindustrie. Ich hatte in den letzten dreieinhalb Jahren trotz aller Anspannung kaum einen schlechten Tag, was ich aber auch meinem unglaublich tollen Team zu verdanken habe. Ich bin gerne Arbeitsminister.

Und welche Themen haben die größten Bauchschmerzen bereitet?

Die Corona-Krise hat mir manch schlaflose Nacht beschert. Ich hatte die Sorge, dass wir die Rückkehr zu Massenarbeitslosigkeit erleben. Das konnten wir mit dem Instrument der Kurzarbeit zum Glück abwenden. Ich bin so froh, dass das geklappt hat, und bin den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Bundesagentur für Arbeit und der Jobcenter sehr dankbar, dass sie diesen gigantischen Verwaltungsakt geleistet haben. Im April 2020 waren in Deutschland sechs Millionen Menschen in Kurzarbeit, das entspricht 20 Prozent aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten.

Sie schließen eine Verlängerung des Kurzarbeitergeldes nicht aus. Für einige Unternehmen eine echte Hilfe, andere nutzen dieses Instrument aus. Wie wollen Sie Betrug verhindern?

Es gibt in einzelnen Fällen Missbrauch, aber im Verhältnis zur großen Masse der korrekt genutzten Kurzarbeit ist das die Ausnahme. Aber klar: Wo es Missbrauch gibt, ist das nicht zu tolerieren, da muss kontrolliert und nachgeforscht werden.

Der Mindestlohn reicht immer noch nicht, um eine Durchschnittsmiete in Bayern bezahlen zu können. Wie kann das sein?

Die Einführung des Mindestlohns war ein großer sozialpolitischer Fortschritt. Nachweislich sind dadurch die unteren Einkommen für Millionen von Menschen gestiegen. Aber mit einer Sache bin ich auch unzufrieden: Der Abstand zu den mittleren Einkommen hat sich nicht verringert. Das ist für viele Menschen sehr demotivierend. Der Mindestlohn muss steigen, auf mindestens 60 Prozent des Durchschnittseinkommens. Das wären ungefähr 12 Euro. Wir brauchen zudem mehr Tariflöhne oberhalb des Mindestlohns. Unser Ziel ist ja nicht, dass alle den Mindestlohn bekommen - sondern gute höhere Löhne.

Reichen aber 12 Euro Mindestlohn angesichts der Mietsteigerungen vielerorts?

Ein weiteres Problem ist die Explosion der Mieten –nicht nur in Ballungszentren. Da sehe ich durchaus Verantwortung auch bei Markus Söder: Ich erinnere mich, dass im Freistaat Millionen Wohnungen im Besitz der öffentlichen Hand waren. Um Lücken beim Skandal mit der BayernLB zu stopfen, hat die CSU hier Privatisierungs-Ideologien durchgezogen. In Hamburg hat Olaf Scholz in etwa derselben Zeit den Wohnungsbau und vor allem auch den sozialen Wohnungsbau angekurbelt.

Fazit, wir brauchen beides: höhere Mindestlöhne und eine soziale Wohnungsbaupolitik in Deutschland, damit die Menschen gut über die Runden zu kommen.

Die gesetzliche Rente steht vor einem riesen Finanzierungsproblem. Warum tut sich die GroKo beim Thema Rente so schwer?

Die große Koalition war für uns keine Liebesheirat, aber ich habe den Eindruck, dass wir bei der Rente viel durchgesetzt haben: Wir haben das Rentenniveau gesichert und die Beiträge stabil gehalten. Auch bei der Mütter- und Erwerbsminderungsrente gibt es Verbesserungen. Und vor allem haben wir die Grundrente eingeführt. Das war ein harter Kampf, aber er ist gelungen. Zudem haben wir mehr Transparenz in die Alterssicherung gebracht. Es gibt demnächst die digitale Rentenübersicht, in der man auf einen Blick sehen kann, was man tatsächlich von der gesetzlichen Rente zu erwarten hat.

Da werden sich wohl einige nicht freuen…

Sie haben recht, die große Aufgabe in der Alterssicherung betrifft den Zeitraum von 2025 bis 2040. Weil dann die geburtenstarken Jahrgänge, die sogenannten Babyboomer, in den wohlverdienten Ruhestand gehen. Mein Ziel ist, dass das Rentenniveau stabil bleibt statt zu sinken, wie die CDU/CSU das in Kauf nimmt. Dafür brauchen wir einen starken Arbeitsmarkt. Arbeitsmarkt und Rente hängen direkt zusammen. Wenn wir möglichst alle Menschen im erwerbsfähigen Alter in Arbeit haben und eine anständige Lohnentwicklung hinbekommen, funktioniert auch die Rente. Übrigens, ab 2040 wird es wieder ein bisschen entspannter. Dann kommt mein Jahrgang in Ruhestand. Von uns gibt's weniger als von den Babyboomern, also entlasten wir – scherzhaft gesprochen - die Rentenkasse ein bisschen.

Wie wollen Sie mit einem Koalitionspartner zusammenkommen, der komplett gegensätzliche Ansichten hat?

Dafür brauchen wir Regierungsmehrheiten ohne CDU und CSU. Auch deshalb kämpfe ich für eine starke SPD. Meinem Eindruck nach hat die Nach-Merkel-CDU nach 16 Jahren in diesem Land nichts mehr vor, zumindest wird sie nicht sozialer. Ganz viele, die z.B. einen sozialpolitischen Hintergrund hatten, sind nicht mehr aufgestellt worden. Dafür kandidieren jetzt Vertreter wie Friedrich Merz. Ich glaube, dass wir für ein fortschrittliches und soziales Deutschland andere Mehrheiten brauchen. Dann ist es auch möglich, eine vernünftige Rentenpolitik zu machen.

Woher sollen diese Arbeitskräfte zur Stärkung des Arbeitsmarktes kommen?

Wir reden zwar über Fachkräftemangel und Demographie am Arbeitsmarkt, haben zugleich aber noch riesige ungenutzte Potenziale. Jahr für Jahr verlassen 55.000 junge Menschen die Schule ohne Schulabschluss. Rund 1,3 Millionen der 20- bis 30-Jährigen haben keine berufliche Ausbildung. Es muss das Ziel sein, dass möglichst jeder junge Mensch die Chance auf Aus- und Weiterbildung hat.

Stichwort Bezahlung: Warum gehören im Jahr 2021 Frauen immer noch zu den Verliererinnen?

Dieses Thema treibt mich aus zwei Gründen um. Erstens bin ich Sohn einer alleinerziehenden Mutter, die voll berufstätig war. Und Alleinerziehende haben es ganz besonders schwer in Deutschland. Zweitens habe ich einen Sohn und eine Tochter - und beide sollen die gleichen Chancen haben. Dass die Lohnlücke zwischen Männern und Frauen immer noch rund 20 Prozent beträgt, liegt nicht allein an Lohndiskriminierung. In tendenziell gut bezahlten industriellen und technischen Berufen arbeiten immer noch mehr Männer und in sozialen Berufen sehr viele Frauen.

Die Antwort muss sein, dass wir Geschlechterklischees zerbrechen und schon im Kindesalter mehr Berufsorientierung geben. Aber vor allen Dingen müssen wir dafür sorgen, dass soziale Berufe in Deutschland besser bezahlt werden. Das wird dann übrigens auch dazu führen, dass mehr Männer solche Berufe ergreifen. Im Bereich Gesundheit, Bildung oder Pflege haben wir einen riesen Fachkräftebedarf. Was kurzfristig auch hilft – und da schließt sich der Kreis - ist ein höherer Mindestlohn und mehr Tarifbindung, wie ich dies jetzt beispielsweise in der Altenpflege durchgesetzt habe.

Bald ist Wahl: Wie stellen Sie sich Ihre Zukunft vor? Gibt es Pläne, Wünsche, Ziele?

Ich habe zwei Ziele: Zum einen möchte ich meinen Wahlkreis Gifhorn in Niedersachsen wieder direkt gewinnen. Zweitens möchte ich meinen Beitrag für ein starkes Ergebnis der SPD leisten, damit Olaf Scholz Bundeskanzler wird. Wenn er das will, werde ich dann gerne als Arbeits- und Sozialminister weitermachen. Ich habe eine Menge geschafft, aber auch noch eine Menge vor. Das Thema „Zukunft der Arbeit“ beschäftigt mich sehr. Die Digitalisierung und der menschengemachte Klimawandel sorgen hier für schnellen - und dringlichen - Wandel. Die Zulieferindustrie etwa im Automobilbereich wird sich massiv verändern. Ich möchte dafür sorgen, dass die Beschäftigten von heute die Chance haben, die Arbeit von morgen zu machen. Dafür brauchen wir einen Rechtsanspruch auf Weiterbildung, Bildungsauszeiten etc. Diese Vorhaben möchte ich nicht nur theoretisch begleiten, sondern auch umsetzen.

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