Ein ganz besonderer Sieg

Der Club gewinnt bei den Bayern - Zaubermaus Zarate: "Ich erinnere mich an jedes Detail"

Isabella Fischer

Leben

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Andreas Pöllinger

Online-Redaktion, Sport

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29.3.2024, 17:33 Uhr
Selbstbewusst: Sergio Zarate trifft aus elf Metern und dreht die Partie noch vor der Halbzeit zu Gunsten des FCN.

© keine Angabe Selbstbewusst: Sergio Zarate trifft aus elf Metern und dreht die Partie noch vor der Halbzeit zu Gunsten des FCN.

"Ich erinnere mich an jedes Detail. Als wir aus dem Hotel gelaufen sind, Richtung Mannschaftsbus, sind uns ein paar Bayern-Fans entgegengekommen, die haben uns natürlich erst einmal beleidigt", erzählt Sergio Fabian Zarate vor rund zwei Jahren. Wir erreichen ihn damals mittags, argentinische Zeit. Nach kurzem Geplänkel wie es jedem geht und wie das Wetter so ist (26 Grad in Buenos Aires, 17 Grad in Nürnberg), geht es ans Eingemachte. Zarate weiß natürlich, welcher Tag sich bald zum 30 Mal jähren wird. "Dieser Sieg hat die ganze Stadt glücklich gemacht. Das war einer der schönsten Nachmittage, die ich je mit dem Club hatte", sagt Sergio Zarate. Und macht eine Pause.

Am 28. März 1992 ist noch keine Pause. Im Olympiastadion, in München, beim vorerst letzten Club-Sieg in der Landeshauptstadt. Bei diesem bravourösen 3:1, das Zarate in der 42. Minute zauberhaft auf den Weg bringt. In Stellung gebracht von Hansi Dorfner setzt der Angreifer an der rechten Seitenauslinie zu einem furiosen Tempolauf an. Zu einem Dribbling, dessen Konsequenzen den Münchnern, die Nürnbergs Argentinier in Person von Manni Bender und Markus Münch recht lasch doppeln, anfänglich nicht klar scheint. Zu einer Aktion, welche die Bayern an diesem 28. März 1992 aber in ihren Grundfesten erschüttern wird.

Zarate dreht sich ein und auf. Das Spielgerät hat er ganz eng am Fuß. Er narrt Münch und beschleunigt mächtig. Pfeilschnell, wendig und mit unnachahmlicher Ballführung steuert er diagonal in den vor ihm liegenden Raum. Schafft Bilder von selten gesehener Zielstrebigkeit und Finesse. Bilder von Dynamik und Perfektion. Und erzeugt mit seinem Antritt kollektive Panik beim Rekordmeister, der den Club in dieser Kategorie erst 1987 überholt hat.

"Fantastische Mannschaftsleistung"

Den Zugriff auf die Zaubermaus? Haben die Bayern längst verloren. Die Münchner grätschen ins Leere, Zarate läuft und läuft. Und wird nach seinem sagenhaften Solo erst auf der Strafraummarkierung von Jan Wouters, Münchens holländischem Vorstopper, ebenso resolut wie regelwidrig gestoppt.

"Der Club hatte in den Spielen davor einige Elfmeter verschossen", rekapituliert Zarate in unserem Telefonat. "Ich fühlte mich aber selbstbewusst, nahm mir den Ball und lief zum Elfmeterpunkt. Hansi Dorfner kam auf mich zu und fragte mich: Wirklich, bist du dir sicher? Ich antwortete ihm: Natürlich, ich mache das. Aber eigentlich war ich sehr nervös", sagt Zarate gut gelaunt. Er erinnert sich gerne an diesen Tag. "Das, was die Mannschaft vom famosen Schlussmann Andy Köpke über das Mittelfeld bis hin zum Sturm geleistet hat, war fantastisch."

Nach der kurzen Zwiesprache mit Dorfner verwandelt Nürnbergs Sehnsuchtsspieler den Strafstoß. Der Langhaarträger lässt Raimond Aumann in der Bayern-Bude keine Chance, verlädt den FCB-Keeper gleichdeutend mit dem 2:1 für den Altmeister. Er rudert mit den Armen, springt ab und landet wuchtig auf beiden Beinen. Der Drehmoment zugunsten Frankens Vorzeigeverein? Ist in einem wie die Witterungsbedingungen abwechslungsreichen Derby nach früher Hausherren-Führung und dem Ausgleich durch Christian Wück sichtbar. "Ich war nach dem Elfmeter so glücklich, das war ein großartiges Gefühl", berichtet Zarate.

Er hat viel zu erzählen, über die für den FCN zum letzten Mal erfreuliche Betriebsreise zum Branchenprimus. Zarate, der 30 Jahre nach dem Club-Coup das Telefonat aus der Noris mit kurzen Haaren, viel Zeit und reichlich Sympathie für seinen Ex-Verein entgegennimmt, erinnert sich heute noch gerne an den Tag im Münchner Olympiastadion. Besonders erinnert sich der Argentinier an das Gefühlshoch, das Nürnbergs Glücksbringer sich, den Teamkollegen und den 15.000 mitgereisten Fans an diesem fränkischen Fußball-Feiertag beschert. "Wir waren der kleine ungeliebte Bruder des FC Bayern, natürlich wusste ich um die Bedeutung dieses Derbys", sagt Zarate.

Sprünge, Sprünge, Party

Der Club mausert sich am 28. März 1992 nicht nur zum Bayern-Bezwinger. Er spricht an diesem Frühlingstag ein Machtwort. Nicht einmal unverdient - so ist Konsens nach dem prestigeträchtigen Auswärtserfolg - ist das 3:1, welches der abschlussstarke Zarate in einem hochgradig unterhaltsamen Schlagabtausch so auch in den Spielbericht setzt.

In der 88. Minute bewerkstelligt die Zaubermaus bei einem Konter die Entscheidung. Der Mann, dem der kicker im Nachgang die Note 1 ins Arbeitszeugnis setzen wird, verwertet Wücks Vorlage vom rechten Sechzehnerrand konsequent gegen Aumanns Laufrichtung. Springt über eine Werbebande. Springt über die zweite Werbebande. Und feiert am Zaun mit Wück und den 15.000 einen Sieg, der im Club-Gedächtnis haften bleibt.

Ebenso wie die Erinnerung an El Raton, Nürnbergs Supermaus. An den attraktiven Argentinier mit der achtbaren Lockenmähne, der in 69 Bundesliga-Partien für den Altmeister 22 Tore macht. Und den Fans mit seinen technisch versierten, temporeichen Auftritten auch darüber hinaus viel Freude. "Die Club-Fans nahmen fast zwei Drittel des Stadions ein, es war der Wahnsinn. Die Tribüne war voll - und das in München", erzählt Zarate enthusiastisch. Und das, obwohl er in seiner Zeit in Mexiko beim Klub Necaxa vor 120.000 Fußballverrückten spielte.

Den Fans des FCN sehr dankbar

Die Zaubermaus zelebrierte Fußball. Und Nürnberg zelebrierte Zarate. Ein bisschen glänzender und unbeschwerter, so schien es, war die Stadt, deren Seelenzustand sich heute noch an den Erfolgen oder Misserfolgen ihres Lieblingsvereins ablesen lässt, wenn Zarate, der seine Zeit in Nürnberg nicht immer als unbeschwert empfinden sollte, entsprechend auf- und antrat. Als Unterschiedsspieler. Als Mann, dessen Abstinenz man auf dem Platz merkte, wenn es gerade einmal nicht so lief bei ihm oder beim Club. Oder eben besonders gut. Wie an diesem zauberhaften Tag vor 31 Jahren.

"Ich liebe Nürnberg noch heute, ich bin den Fans sehr dankbar", sagt der Argentinier am Ende des Telefonats ein bisschen wehmütig. "Der Club hat mit die besten Fans in ganz Deutschland, das habe ich bei jedem Spiel gemerkt".

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