Prozess um mutmaßliche Rechtsterroristin aus Franken: Jetzt sprechen bedrohte Politiker

6.5.2021, 19:03 Uhr
Während eines Aufmarschs des III. Wegs in Bamberg im März 2020 war Susanne G. aus Diepersdorf als Ordnerin tätig.

© Jonas Miller Während eines Aufmarschs des III. Wegs in Bamberg im März 2020 war Susanne G. aus Diepersdorf als Ordnerin tätig.

Makabre Beileidskarten, Drohanrufe, scharfe Munition als unverhohlene Todeswarnung – und eine unheimliche Verfolgerin im schwarzen Geländewagen: Vor dem Oberlandesgericht (OLG) München haben am Donnerstag zwei fränkische Kommunalpolitiker ausgesagt, die über einen Zeitraum von mehreren Wochen deutliche Todesdrohungen bekommen haben. Dafür verantwortlich soll nach Ansicht der Ermittlungsbehörden eine 55 Jahre alte Heilpraktikerin aus einem kleinen Dorf in Franken sein, die seit vergangener Woche als mutmaßliche Neonazi-Terroristin vor Gericht steht. Sie soll nicht nur die beiden Politiker, sondern auch noch einen Moscheeverein und ein Flüchtlingsprojekt bedroht und außerdem einen Brandanschlag vorbereitet haben.

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Die Frau, die sich selbst zunächst nicht zu den Vorwürfen gegen sie äußern will, soll Kontakte haben zu Ralf Wohlleben und André E., zwei verurteilten Helfern der berüchtigten NSU-Terrorzelle um Beate Zschäpe. Zu 90 oder sogar 95 Prozent will der Bürgermeister eines kleinen Ortes bei Nürnberg die Angeklagte als die Frau erkennen, die Anfang 2020 ihn einmal in ihrem Auto auf dem Weg von seinem Haus ins Rathaus verfolgte und ihm vorher regelrecht aufgelauert habe, sagte er als Zeuge vor Gericht. "Dass man als kleiner Bürgermeister in so eine Situation rutschen kann", könne er heute noch nicht begreifen.

Neben jenem Tag, an dem er sich verfolgt fühlte, sind es vor allem die beiden makabren Grußkarten, die er nicht aus dem Kopf bekommt: "Wenn der öffentliche Vorhang weg ist, sind da die ruhelosen Nächte, die Gedanken." An eine Einladung zu einer Mottoparty habe er zunächst geglaubt, „irgendetwas Skurriles“, als er den Umschlag mit der seltsamen Schrift in die Hand nahm. Als er darin eine Beileidskarte mit seinem Namen, Geburtsdatum und einem Fragezeichen als Todesdatum und eine Patrone entdeckte, sei ihm ganz anders geworden. "Käseweiß" sei er aus dem Zimmer gelaufen. Es folgten noch eine weitere Karte, eine weitere Patrone, seltsame Anrufe, bei denen immer gleich aufgelegt wurde – und das Gefühl, irgendjemand beobachte ihn und seine Familie. "Wir hatten das Gefühl, dass wir nicht immer allein auf unserem Grundstück waren." Bei wortlosen Anrufen blieb es bei dem fränkischen Landrat nicht, der ebenfalls aussagt an diesem Tag und – wie sein Politiker-Kollege - als Nebenkläger in dem Verfahren auftritt. Die Männer kennen sich, sitzen beide im Trägerverein eines jüdischen Museums. Als der Bürgermeister die hasserfüllte Post bekam, wusste er schon, dass der Landrat wegen ganz ähnlicher Karten unter Polizeischutz stand. "Wir kriegen Deinen Mann", soll eine rauchige Stimme gesagt haben.


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Der Anruf, der an seine Frau gerichtet war, erreichte seine Mutter. "Angst, Angst, Angst, Angst" habe sie seither – "Angst um meinen Sohn", Angst vor jedem Menschen, der in der Nähe des Hauses umherlaufe und irgendwie verdächtig wirke. Seit dem Anruf schreibt sie sich die Nummernschilder der Autos auf, die am Grundstück vorbei fahren. "Herzliches Beileid", stand auf einer der makabren Grußkarten an den Landrat.

Ein Sonnenuntergang hinter einem Baum auf der Vorderseite - und innen eine Morddrohung: "Juden- und Ausländerfreund" und "Erschossen auf der Terrasse". Das ist ein Drohszenario, das an die Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke erinnert. Er habe beim Lesen der Karte sofort an diesen aufsehenerregenden Mord gedacht, sagt der Landrat: "Das war die erste Reaktion." Die Karten kamen zu Weihnachten oder zu seinem Geburtstag: "Das war nicht zufällig, das war orchestriert." Dass schon der Gang zum Briefkasten eine bedrohliche Situation darstellte, habe Spuren hinterlassen bei ihm und seiner Familie: "Man beobachtet die Umwelt anders als vorher, man wird misstrauischer." Auch wenn der Fall von seinen Ausmaßen und den Hintergründen sicher bemerkenswert ist, Einzelfälle sind Hass, Hetze und Drohungen gegen Kommunalpolitiker nicht – ganz im Gegenteil. Im vergangenen Jahr gab es laut Bundesinnenministerium insgesamt 1674 politisch motivierte Straftaten gegen Amts- und Mandatsträger in Deutschland. Bayerns Landtagspräsidentin Ilse Aigner (CSU) verurteilte erst kürzlich eine zunehmende Verrohung in der Gesellschaft und kritisierte Hass und Hetze gegen Politiker. "Während der Pandemie haben Hass und Hetze noch mal deutlich zugenommen", sagte sie. Insbesondere Kommunalpolitiker seien betroffen.

"Umso mehr müssen wir es ernst nehmen, wenn im Netz sogenannte Todeslisten kursieren, die Abgeordnete 'zum Abschuss freigeben'. Und das, weil deren Abstimmungsverhalten in den Parlamenten nicht akzeptiert wird", sagte Aigner. Längst gehe es nicht mehr um Einzelfälle, sondern um ein politisches und gesellschaftliches Klima. Der Bürgermeister betont vor Gericht, er wolle sich nicht unterkriegen lassen. "Wir gehen gestärkt aus der Geschichte raus", betont er, das Kreuz sei breiter geworden, es bedürfe einer "Kampfansage der Demokratie an Staatsfeinde". Er habe sich schon gefragt, "wie viel Öffentlichkeit darf sich ein kleiner Bürgermeister noch zutrauen, um sich und seine Familie nicht zu gefährden?" Das sei aber die falsche Frage. Die richtige sei, wie eine Gesellschaft sicherstellen könne, "dass die Öffentlichkeit nicht zur Gefahr wird".

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