Die Faber-Villa am Spittlertorgraben

Noble Adresse mit Burgblick: Das Heim des Bleistiftfabrikanten

19.1.2022, 11:01 Uhr
1861 konnte man am Spittlertorgraben wohl wirklich noch mit dem Baby auf dem Arm frische Luft und Naturidyll genießen. Auf der Zeichnung von Heinrich Grünewald ist links neben der Kaiserburg die junge Villa Gonnermann zu sehen.  

© Kunstsammlungen der Stadt Nürnberg, Grafische Sammlung, Nor. K 8043 1861 konnte man am Spittlertorgraben wohl wirklich noch mit dem Baby auf dem Arm frische Luft und Naturidyll genießen. Auf der Zeichnung von Heinrich Grünewald ist links neben der Kaiserburg die junge Villa Gonnermann zu sehen.  

Was sich heutzutage alles "Villa" schimpft – es ist zum Mäusemelken! Jeden noch so belanglose gedämmte weiß-graue Hundert-Quadratmeter-Schuhschachtel mit Handtuchgärtchen und Hühnerleitertreppe erhebt das Wald-und-Wiesen-Immobilienmarketing in den Rang von Palästen. Da fühlt sich nicht nur der besser informierte Kunde veräppelt, auch der Architekturhistoriker kommt bisweilen nicht umhin, die Hände über dem Kopf zusammenzuschlagen ob solcher Hybris.

Die Zeit der Pinsel- und Stiftemacher

Was wirklich eine Villa ist, zeigt uns das Anwesen Spittlertorgraben 49, das äußerst prominent gegenüber dem Westtor am Nürnberger Altstadtring thront. Schon der Vorgängerbau des heutigen Bauwerkes, den Heinrich Grünewald 1861 in einer stimmungsvollen Zeichnung (heute im Besitz der Städtischen Kunstsammlungen) verewigte, strahlte trotz seiner zierlichen Gestalt weltstädtische Eleganz aus: Regina und Georg Ferdinand Gonnermann, seines Zeichens Pinselfabrikant und aus dem hessischen Eschwege zugezogen, hatten ihn kurz zuvor errichten lassen.

1933 zeigt sich dieselbe Stelle als großstädtische Promenade. Längst hat die vornehme Villa Faber (unterhalb der Burg) das Haus der Gonnermanns ersetzt. Auch die übrige Bausubstanz ist mittlerweile fast komplett ausgetauscht.  

1933 zeigt sich dieselbe Stelle als großstädtische Promenade. Längst hat die vornehme Villa Faber (unterhalb der Burg) das Haus der Gonnermanns ersetzt. Auch die übrige Bausubstanz ist mittlerweile fast komplett ausgetauscht.   © unbekannt, Privatsammlung

Die Pläne im modischen Rundbogenstil, der einen streng symmetrischen Fassadenentwurf mit Schmuckformen des Klassizismus und der Romanik vereint, stammten vermutlich vom bautechnischen Bureau Adam Paul. Ende der 1870er Jahre zogen die Gonnermanns in die zweite Reihe in ein Haus auf dem Areal ihrer Pinselfabrik. Ihr früheres Heim verkauften sie an Johann Faber, der sich erst kürzlich – sehr zum Ärger seines großen Bruders Lothar – mit einer eigenen Bleistiftfabrik mit Sitz in der Schanzäckerstraße selbstständig gemacht hatte.

Obwohl das Haus Spittlertorgraben 47b, links neben der Villa Faber, im Bombenkrieg vernichtet und wiederaufgebaut wurde, erkennt man das Ensemble heute wieder. Nur die Zahl der geparkten und im Stau stehenden Blechkübel hat sich vervielfacht.  

Obwohl das Haus Spittlertorgraben 47b, links neben der Villa Faber, im Bombenkrieg vernichtet und wiederaufgebaut wurde, erkennt man das Ensemble heute wieder. Nur die Zahl der geparkten und im Stau stehenden Blechkübel hat sich vervielfacht.   © Sebastian Gulden

Nach französischem Vorbild

Für eine Industriellenfamilie der Gründerzeit, die etwas auf sich hielt, war der Bestandsbau viel zu klein und stilistisch völlig aus der Mode. So entstand an Stelle der Villa Gonnermann 1878/1879 ein Neubau, den Architekt Gottlob Friedrich Hildenbrand in das Gewand der Neorenaissance französischer Prägung kleidete.

Das vornehme Stadtpalais mit zwei Geschossen über einem hohen Kellersockel aus Burgsandstein, zwei Eck-Erkern und einem flachen Walmdach vertrat genau die Art moderner, herrschaftlicher Architektur, die sich die Nürnberger Stadtoberen für ihre eben im Entstehen begriffene Ringstraße gewünscht hatten.

Bei dem Neubau handelte es sich genau genommen um eine Doppelvilla, die neben einem Appartement für Johann und Käte Faber eine weitere Einheit für Sohn Ernst und seine Familie enthielt. Der übernahm das Anwesen nach dem Tod seines Vaters und ließ es um 1904 durch den Münchener Architekten Emanuel von Seidl großzügig ausbauen. Von diesem Umbau stammen unter anderem der bullige Treppenturm, das Panoramafenster und der neue Eingang an der Hausseite zum Kontumazgarten.

1909 ließ Ernst Faber sein Haus porträtieren und das Bild auf Korrespondenzkarten drucken. Die stimmungsvolle Winteransicht zeigt schon die Anbauten und die Gartenmauer von Emanuel von Seidl.  

1909 ließ Ernst Faber sein Haus porträtieren und das Bild auf Korrespondenzkarten drucken. Die stimmungsvolle Winteransicht zeigt schon die Anbauten und die Gartenmauer von Emanuel von Seidl.   © Grafik Ernst Lösch, Sammlung Sebastian Gulden

Braunhemden folterten hier ihre Gegner

Ein dunkles Kapitel in der Geschichte der Villa Faber begann, als sich die Bleistiftfabrik 1933 ausgerechnet die SA-Gruppe Franken ins Haus holte. Für rund ein Jahr, nämlich bis zu seiner Verhaftung und Hinrichtung wegen angeblicher Umsturzpläne, trug das Anwesen offiziell den Namen des Chefs der Schlägertruppe Ernst Röhm, obwohl die Organisation gar nicht Eigentümerin des Anwesens war. Bis 1936 nutzten die Braunhemden ihre Räumlichkeiten als örtliche Stabswache – und als Folterkammer, in der sie politische Gegner misshandelten.

Seit Auszug der Nazis ist die Villa Faber – abgesehen von einer Hausmeisterwohnung – ein reines Büro- und Geschäftshaus, in dem Ende der 1930er Jahre unter anderem die Eisen- und Kohlenhandlung Klöckner und das Nürnberger Büro des Fahrzeugherstellers Magirus-Deutz ihren Sitz hatten. Wohl um 1938 erhielt das Haus ein zusätzliches Stockwerk. Obwohl dessen Gestaltung sich am Altbestand orientierte, verlor das Gebäude dadurch seine ausgewogenen Proportionen, das bekrönende Zeltdach mit Plattform und den dominanten Dreiecksgiebel zum Spittlertorgraben.

Viel Auto, wenig Villa

Die Kriegsschäden wurden 1949/1950 behoben; in den 1980er Jahren erhielt die Villa am Kontumazgarten einen viergeschossigen Anbau, der die Kubatur und Dachform des Hildenbrand’schen Entwurfes zitiert.

Trotz der etwas ungelenken Aufstockung und des anschwellenden Autoverkehrs ist der Charme des Ortes und der Villa bis heute nicht erstorben. Die neubarocke Gartenmauer hat man leider nach dem Krieg weggerissen.  

Trotz der etwas ungelenken Aufstockung und des anschwellenden Autoverkehrs ist der Charme des Ortes und der Villa bis heute nicht erstorben. Die neubarocke Gartenmauer hat man leider nach dem Krieg weggerissen.   © Sebastian Gulden

Heute ist das Faber’sche Stadtpalais neben dem Anwesen Spittlertorgraben 23 die einzige großbürgerliche Villa, die sich an der Nürnberger Ringstraße erhalten hat. Alle andere fielen den Weltkriegsbomben, der Nachverdichtung und dem "autogerechten" Ausbau von Spittlertorgraben und Dennerstraße in den 1960er und 1970er Jahren zum Opfer.

Nun ist es beileibe nicht so, als gäbe es heute keine neuen Villen mehr, die die Qualitäten und den repräsentativen Anspruch des Palais Faber in die Formensprache unserer Zeit übersetzten. Doch möge das prunkvolle Stadtpalais all jenen Mahnung sein, die allzu leichtfertig alles zur Villa, zum Schloss, zur Residenz emporjubeln!

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