So wie diesen erging es vielen

Styropor statt Palmblättern: Die Geschichte des Verschwindens zweier Häuser in Nürnberg-Wetzendorf

13.2.2024, 15:00 Uhr
2024 ist von dem einstigen Vorstadtidyll an der Poppenreuther Straße 25 und 27 nichts mehr da. Es musste in den 1960er und 1970er Jahren zwei hochverdichteten und wenig charmanten Wohnklötzen weichen. 

© Sebastian Gulden, NNZ 2024 ist von dem einstigen Vorstadtidyll an der Poppenreuther Straße 25 und 27 nichts mehr da. Es musste in den 1960er und 1970er Jahren zwei hochverdichteten und wenig charmanten Wohnklötzen weichen. 

Heute ist kaum mehr einem Bewohner des Viertels zwischen Klinikum und Nordwestring bewusst, dass er in Wetzendorf lebt. Vor über 100 Jahren, als sich hier die Vorstadt auszudehnen begann, waren die politischen Grenzen allseits bekannt, wenngleich sie schon damals für das Alltagsleben wenig Bedeutung hatten.

Das Viertel im Westen des Nürnberger Klinikums Nord ist heute vorwiegend vom Geschosswohnungsbau der Nachkriegszeit geprägt. Kaum jemand käme auf die Idee, dass unser historisches Ansichtskartenmotiv aus dieser Gegend stammt.

Siedlung zwischen Äckern und Baumschulen

Tatsächlich gab es hier schon lange vor dem Bau des neuen städtischen Krankenhauses 1894 bis 1897 eine große, aber verstreute Vorstadtsiedlung. „Neuwetzendorf“ ward sie genannt; denn die mehr oder minder lockere, von Äckern, Gärten und Baumschulen durchsetzte Bebauung grenzte zwar an einigen Stellen unmittelbar an den Nürnberger Stadtteil St. Johannis; administrativ aber gehörte die Vorstadt zur Gemeinde Wetzendorf, die erst 1899 Teil der Noris wurde.

Vertrauter Anblick im Umland

Bis dahin verlief die Gemeindegrenze direkt im Westen des Krankenhauses durch die Mitte der Poppenreuther Straße, die in Wetzendorf unter dem Namen „Stadtweg“ firmierte.

Stadtrandsiedlungen wie Neuwetzendorf, die den Charakter eines Stadtquartiers hatten, aber zu einer dörflichen Vorortgemeinde gehörten, waren um 1900 ein vertrautes Bild im Umland Nürnbergs. Andere Beispiele sind etwa Neugroßreuth hinter der Veste, Neuhausen bei Mögeldorf und Bleiweiß, das zur Gemeinde Gleißhammer gehörte.

Im Jahr 1900 sandte ein Hausbewohner diese Fotokarte mit der Ansicht der Häuser Poppenreuther Straße 25 und 27 (von links) in den unterfränkischen Besengau. 

Im Jahr 1900 sandte ein Hausbewohner diese Fotokarte mit der Ansicht der Häuser Poppenreuther Straße 25 und 27 (von links) in den unterfränkischen Besengau.  © unbekannt (Sammlung Sebastian Gulden), NNZ

Halb oder ganz freistehende Kleinmietshäuser wie die Gebäude auf unserer Fotokarte waren typisch für den Vorstadtbereich.

Das linke (Poppenreuther Straße 25) ist ein charakteristischer Vertreter dieser Gattung: ein zweigeschossiger, verputzter Ziegelbau mit einfachster Fassadengliederung, einem breitgelagerten Zwerchhaus und Giebelgauben im traufständigen Satteldach. Innen hielt es in den beiden Vollgeschossen und unter dem Dach je zwei Dreizimmerwohnungen mit Küche bereit, der Gemeinschaftsabort lag auf „halber Etage“ am hofseitigen Treppenhausschacht.

Das eine Haus gehörte einem Unternehmer

Erbauen ließ das Haus Johann Jakob Klaus aus Ermershausen bei Haßfurt, der im Jahr 1877 mit seiner frisch angetrauten Gattin Anna Maria dort einzog. Im Laufe der folgenden Jahre mauserte sich seine Fensterherstellung, die er zunächst in einer Werkstatt im Rückgebäude betrieb, zu einer kleinen Fabrik, die immer wieder baulich erweitert werden musste.

Der Architekt war ein Maurermeister

Das zwischen 1877 und 1883 errichtete Gebäude rechts (Poppenreuther Straße 27) dagegen ist ein außergewöhnliches Beispiel für ein Vorstadtwohnhaus, dessen Planer viel Gewicht auf eine ansprechende Außenwirkung legte und ihm dadurch geradezu die Anmutung einer Villa verlieh. Zwar sind die originalen Bauzeichnungen verschollen.

Allerdings erlauben uns Stilistik und Adressbücher den Urheber des Hauses eindeutig zu identifizieren: Es war der aus Erlangen stammende Maurermeister und Mitglied des Gemeindekollegiums Ludwig Mezger (1832-1914), der auch für die Planung und den Bau der Nachbarhäuser Nr. 25, 29 und 31 verantwortlich zeichnete.

Aus seiner Feder stammen ferner die in den Details ähnlichen Mietshäuser Rollnerstraße 5 (1872) und Johannisstraße 70 (1884, 1980 abgerissen). Sie belegen, dass Mezger ein ungewöhnliches Faible für den der griechischen Antike verpflichteten Klassizismus der Zeit um 1800 besaß.

Palmblätter in Franken

Die Fassade zur Straße besteht aus Sandstein. Profilierte Gesimse scheiden die Geschosse, wobei jenes unter der Traufe mit einem Mäanderfries aufwartet. Über den Fenstern im ersten Stock mit ihren reichen Profilrahmen, an den seitlichen Pilastern und am Giebel des Zwerchhauses ließ Mezger stilisierte Palmblätter (in der Fachsprache „Palmetten“ bzw. „Akroterien“ genannt) anbringen, wie man sie von antiken Tempeldächern kennt.

Vor dem Wohnungsbau der Nachkriegszeit fanden die kleinen Mietshäuser keine Gnade: Schon 1950 plante der damalige Eigentümer Wilhelm Wagner das Haus Poppenreuther Straße 25 durch ein dreigeschossiges Mietsgebäude zu ersetzen. Um seinem Ansinnen beim Stadtplanungsamt Nachdruck zu verleihen, ließ er 1954 von Architekt Franz Stehlik einen Rahmenplan erstellen, verbunden mit der „Anfrage ob das Anwesen nicht mit 4 Vollgeschossen aufgebaut werden kann, zumal die Strasse an dieser Stelle nahezu 20 m breit ist und die Rentabilität des Hauses bei 4 Vollgeschossen viel günstiger wäre.“

Am Ende kam die Abrissbirne

Das Ganze zog sich, doch am Ende fielen die beiden Vorstadthäuser 1965, respektive 1970 der Abrissbirne zum Opfer. Heute stehen an ihrer Stelle zwei klotzartige Viergeschosser mit flachen Satteldächern vom Reißbrett der Nürnberger Architekten Heinz Meier und Egmont Ros.

Eine energetische Sanierung hat 2011 dem bauästhetischen Leimsieder Poppenreuther Straße 27-31 die Krone aufgesetzt: Die Fassaden wurden dick in Styropor eingepackt, nach einem konfusen Farbkonzept in Katzenstreuweiß, Toskanaterrakotta und Anthrazitgrau gestrichen, Balkone, Fenster- und Türfüllungen durch belanglosen Plaste- und Stahlkrutsch ausgetauscht.
Passend zu Stehliks Aussage von 1954 klären Schilder an den Eingängen des Hauses den Passanten vollmundig auf: „Hier ist Ihre Rendite zu Hause“. Na, die ärmste!

Diese Serie lädt zum Mitmachen ein. Haben Sie noch historische Fotografien oder Darstellungen eines Schauplatzes in Nürnberg? Dann schicken Sie uns diese bitte zu. Wir machen ein aktuelles Foto und erzählen die Geschichte dazu.

Per Post: NN/NZ, Lokalredaktion, Marienstraße 9, 90402 Nürnberg; per E-Mail an
redaktion-nuernberg@vnp.de; noch viel mehr Artikel des Projekts „Nürnberg – Stadtbild im Wandel“ unter
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